7.10.2011

Stuttgart 21:
Verwaltungsgerichtshof verhängt Teil-Baustop

historischer Stuttgarter Hauptbahnhof Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg verhängte in einem Eilbeschluß einen Teil-Baustop über das Mega-Projekt 'Stuttgart 21' und entsprach damit weitgehend einer Klage des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Das Gericht sprang damit für die untätige "grün-rote" Landesregierung in die Bresche.

Bereits Anfang Juni (siehe unseren Bericht v. 9.06.2011) hatte eine Gruppe von IngenieurInnen öffentlich gemacht, daß der Planfeststellungsbeschluß PFA1.1 hinfällig ist, da damit lediglich eine Grundwasserentnahme von maximal 3 Millionen Kubikmeter genehmigt wurde. Dennoch wollte die Bahn AG eigenmächtig mehr als die doppelte Menge Grundwasser, nämlich 6,8 Millionen Kubikmeter für die Bautätigkeiten abpumpen. Selbst die Bahn AG mußte einräumen, daß die Angaben, auf denen der Planfeststellungsbeschluß basiert, falsch sind. Damit hätte die Landesregierung eine Handhabe gehabt, einen Bau-Stop zu verhängen.

Die Klage des BUND (siehe unseren Bericht v. 18.06.2011) richtete sich hauptsächlich gegen einen weiteren Tatbestand: Ursprünglich hatte die Bahn AG geplant, an vier Standorten Anlagen für das Grundwassermanagement zu bauen. Dies war per Planfeststellungsbeschluß genehmigt worden. Dann aber hatte die Bahn AG entschieden, die Arbeiten an einem Standort zu bündeln. Erst zu diesem Zeitpunkt legte sie fest, mehr als doppelt so viel Wasser abzupumpen wie genehmigt.

Das Eisenbahnbundesamt (EBA) und die Bahn AG hatten in einer Anhörung argumentiert, die Klage beziehe sich nur auf das Technikgebäude, das nun aber schon errichtet sei, und versuchten damit vom entscheidenden Tatbestand, der Veränderung bei der Grundwasserentnahme abzulenken. Der Verwaltungsgerichtshof verhängte nun jedoch über den gesamten Komplex des sogenannten Grundwassermanagements einen Bau-Stop. Vorerst dürfen keine weiteren Rohre für das Grundwassermanagement verlegt werden. Insgesamt ist in der Stadt ein 17 Kilometer langes Rohrleitungsnetz geplant. Das Gericht sichert damit, daß bis zum Volksentscheid am 27. November nicht weiter vollendete Tatsachen geschaffen werden. Es zeigt damit zugleich deutlich, daß auch die Kretschmann-Regierung die Möglichkeit gehabt hätte, einen Bau-Stop zu verfügen.

Erst vor vierzehn Tagen hat die Vereinigung 'Juristen zu Stuttgart 21' Strafanzeige gegen die Bahn AG gestellt. (Siehe unseren Bericht v. 22.09.2011) Es geht um "besonders schweren Betrug." Die JuristInnen argumentieren, Bahn-Chef Rüdiger Grube habe dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart Informationen über die ausufernde Kosten des Mega-Projekts vorenthalten.

Aus den Beweismitteln, die mittlerweile vorliegen, geht hervor, daß die Bahn AG vor der Unterzeichnung einer entscheidenden "gemeinsamen Finanzierungsvereinbarung" über absehbare Mehrausgaben von fast einer Milliarde Euro Bescheid wußte. Vor Vertragsabschluß am 2. April 2009 haben beteiligte Fachplaner demnach minutiös die längst absehbar höheren Kosten aufgeschlüsselt. Diese Informationen wurden allerdings unter Verschluß gehalten. Mit diesen Informationen rückte die Bahn AG erst im Dezember 2009 heraus. Neun Monate zuvor hatte sie den Kostenrahmen noch auf drei Milliarden Euro veranschlagt. Erst im Dezember 2009 räumte sie ein, daß der Kostenrahmen um eine Milliarde Euro erweitert werden müsse.

Außerdem wurde ein interner Vermerk des baden-württembergischen Innenministeriums öffentlich. Daraus geht hervor, daß für die Bahn AG bereits 2008 "dramatische Kostensteigerungen" erkennbar waren und somit die Angaben zu Baupreisen und Risiken "falsch waren". Unabhängige Fachleute gehen seit langem davon aus, daß weder der offizielle Kostenrahmen von 2009 in Höhe von 3 Milliarden Euro, noch der aktuelle von 4,5 Milliarden Euro einzuhalten ist, und daß das Mega-Projekt zu seiner Realisierung mehr als zehn Milliarden Euro erfordert.

Am 29. September hat die "grün-rote" Koalition wie angekündigt mit Hilfe einer Abstimmung im Landtag den Weg zu einer Volksabstimmung über das Mega-Projekt 'Stuttgart 21' frei gemacht. (Siehe unseren Bericht v. 29.09.2011) Dieser soll nun am 27. November stattfinden. Wegen undemokratischer Fußangeln in der Verfassung des Süd-West-Bundeslandes ist es jedoch möglich, daß die Volksabstimmung trotz einer Mehrheit gegen 'Stuttgart 21' scheitert.

Mit Blick auf dieses voraussichtliche Scheitern baute Ministerpräsident Winfried Kretschmann bereits vor: So sagte er im März gegenüber der 'taz': "Der Gedanke erfüllt mich mit Grausen, daß wir ein Projekt selber realisieren müssen, von dessen Unsinnigkeit wir seit 15 Jahren überzeugt sind. Aber auch das gehört im Zweifel zur direkten Demokratie dazu."

Neue Argumente wurden im Landtag von Baden-Württemberg anläßlich der gesetzlichen Vorbereitung des Volksentscheids nicht verhandelt. Offensichtlich interessierte es niemanden im Landtag, daß wenige Tage zuvor RichterInnen und AnwältInnen des Arbeitskreises 'Juristen zu Stuttgart 21' bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen die Bahn AG gestellt hatten. Ebenso wenig hatte bislang die Klage des BUND vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim interessiert.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Stuttgart 21:
      Volksentscheid mit Fußangeln (29.09.11)

      Stuttgart 21:
      JuristInnenvereinigung stellt Strafanzeige (22.09.11)

      Stuttgart 21:
      "Stress-Test" bestanden (21.07.11)

      Spiegel über interne Bahn-Unterlagen:
      Kosten von Stuttgart 21 geschönt (3.07.11)

      "Volksversammlung" zu Stuttgart 21
      auf dem Markplatz
      Minister Hermann ausgepfiffen (23.06.11)

      Stuttgart 21
      BUND stellt Eilantrag auf Bau-Stop (18.06.11)

      IngenieurInnen: Weiterbau an Stuttgart 21
      ist rechtswidrig (9.06.11)

      "Stuttgart 21": Die Show
      des neuer Verkehrsministers Winfried Hermann (12.05.11)

      Bau-Stop selber machen
      Aktions-Camp gegen "Stuttgart 21" (17.04.11)

      Landtagswahl
      Recycling in Baden-Württemberg (27.03.11)

      Stuttgart 21
      "Schlichterspruch" ad absurdum geführt
      Stresstest einseitig aufgekündigt (8.02.11)

      Stuttgart 21 - Schlichtung
      oder schlicht Volksverdummung? (1.12.10)

      Stuttgart 21 - MONITOR bestätigt Verdacht gegen Mappus
      Direktive kam von oben (22.11.10)

      stern: Erneut Millionenschwindel bei Stuttgart 21
      "Schlichtung ist Verdummung" (17.11.10)

      Stuttgart 21: Lug und Trug
      Landesbeteiligung verfassungswidrig
      "Käfer und Kammmolche" (16.11.10)

      Stuttgart 21 - Neue Bäume
      im gerodeten Teil des Schloßgartens (31.10.10)

      Die Polizei: Dein Freund ...
      ... und Steinewerfer (18.10.10)

      Stuttgart 21
      Verrat der Funktionäre (15.10.10)

      110.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
      Merkel warnt vor "Unregierbarkeit" (9.10.10)

      100.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
      "Mappus muß weg!" (2.10.10)

      Stuttgart 21 - "Mappus läuft Amok"
      Hunderte Verletzte im Stuttgarter Schloßgarten (30.09.10)

      Stuttgart 21
      Stern enthüllt Chaos-Planung (29.09.10)

      Weiter Zehntausende gegen Stuttgart 21
      30 Festnahmen nach Demo (25.09.10)

      69.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
      Bahn-Chef Grube schließt höhere Kosten
      für das Mega-Projekt nicht mehr aus (11.09.10)

      Stuttgart 21: Polizei beendet Baumbesetzung
      "S"PD plötzlich für Volksentscheid (7.09.10)

      Stuttgart 21
      Spaltungsversuch der Pseudo-Grünen gescheitert (6.09.10)

      60.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
      Baumbesetzung im Schloßgarten (3.09.10)

      Forsa-Umfrage: Absolute Mehrheit gegen Stuttgart 21
      Pseudo-Grüne versuchen Widerstand zu spalten
      865 Millionen Euro neue Kosten für Ba-Wü (2.09.10)

      Stuttgart 21 - 40.000 protestieren
      Erster Durchbruch am Bauzaun gescheitert (27.08.10)

      Stuttgart 21 - Abriß begonnen
      Hilft nur noch Bauplatzbesetzung? (25.08.10)

      30.000 protestieren:
      "Stoppt Stuttgart 21" (21.08.10)

      Millionen-Schmiergeld für Stuttgart 21?
      'spiegel' berichtet über heimlichen Deal (16.08.10)

      21.000 bei Menschenkette
      gegen Stuttgart 21 (14.08.10)

      Studie des Umweltbundesamtes
      Stuttgart 21 provoziert Nadelöhr (12.08.10)

      Immer mehr Menschen protestieren
      16.000 gegen Stuttgart 21 (7.08.10)

      Wachsender Protest gegen "Stuttgart 21"
      Tausende legen Verkehr lahm (2.08.10)

      Protestival der Parkschützer
      Zehntausende gegen "Stuttgart 21" (10.07.10)

      'stern' veröffentlicht geheime Studie
      zu "Stuttgart 21" / Steilvorlage für GegnerInnen (8.07.10)

      Europäische Nachbarn bauen Eisenbahn aus
      In Deutschland wird das Schienennetz abgebaut (29.04.10)

      Verkehrssicherheit
      Bahn weit vor Konkurrenten (30.03.10)

      'Robin-Wood'-Aktion gegen "Stuttgart 21"
      "Stuttgart verscherzt es sich - Zug um Zug" (2.02.10)

      Investitionen in Schienenverkehr:
      BRD ist ganz hinten in der EU (21.01.10)

 

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