18.11.2011

Festnahme der Neonazi-Zelle 1999 gestoppt
Befehl von "oben"

Pässe für Neonazi-Terroristen Laut MDR wurde eine Festnahme der Neonazi-Zelle um Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos 1999 in Chemnitz, Sachsen, kurz vor dem Zugriff in letzter Minute gestoppt. Im Januar 1998 war eine Bombenwerkstatt ausgehoben worden, doch die mutmaßlichen Neonazi-TerroristInnen konnten abtauchen. Das thüringer Landeskriminalamt dementiert den MDR-Bericht.

Die TerroristInnen um die beiden Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sind offenbar für mehr als zehn Morde in den vergangenen dreizehn Jahren verantwortlich. Untertauchen und im Untergrund leben konnten sie nicht zuletzt Dank gefälschter Ausweise von herausragender Qualität, die vermutlich von einem Geheimdienst stammten. Noch offen ist, wer ihnen bei der Flucht half.

Laut Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) ist eine geplante Festnahme der Neonazi-Zelle 1999 in letzter Minute - kurz bevor sich das SEK nach Chemnitz auf den Weg machte - gestoppt worden. Dies bestätigt den Verdacht, daß die TerroristInnen jahrelang von "oben" gedeckt wurden. Laut MDR, der sich auf Informationen aus Behörden-Quellen beruft, soll das LKA damals auch die ZielfahnderInnen zurückgepfiffen haben. Nach Darstellung des MDR sollte die Neonazi-Zelle um Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos von einem Sondereinsatzkommando (SEK) verhaftet werden. ZielfahnderInnen hätten die Verdächtigen zwischen 1998 und 1999 in Chemnitz, Sachsen, aufgespürt. Das alarmierte SEK habe einen fertigen Einsatzplan für die Festnahme gehabt.

Das thüringer Innenministerium in Erfurt wollte keine Stellungnahme zu dem Bericht geben und berief sich die laufenden Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und die eingesetzte Untersuchungskommission. Der ehemalige thüringer Innenminister Richard Dewes, der bis zum 30. September 1999 amtiert hatte, verweigerte gegenüber dem MDR eine Stellungnahme. Das thüringer Landeskriminalamt (LKA) dementierte heute gegen Abend den Bericht. Die Zielfahndung habe in den Jahren 1999 und 2000 "zu keinem Zeitpunkt Kenntnis zum konkreten Aufenthaltsort" der drei Verdächtigen gehabt, sagte ein Sprecher.

Nach MDR-Informationen hatten sich die zurückgepfiffenen LKA-BeamtInnen 1999 massiv beschwert. Daraufhin habe ein Gespräch zwischen "hohen Vertretern des Innenministeriums" und den BeamtInnen stattgefunden. Unklar sei, ob ihnen ein Grund für den Abbruch der Aktion genannt wurde. Ebenso bleibt im Dunklen, wer den Abbruch anordnete.

Bei einer Razzia im Januar 1998 hatte ErmittlerInnen in einer Garage eine Werkstatt mit vier Rohrbomben und 1,4 Kilogramm des Sprengstoffs TNT entdeckt. Seltsamerweise wurde ein Haftbefehl erst einige Tage später ausgestellt, so daß Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Z. rechtzeitig abtauchen konnten. Und bereits im Jahr 2003 wurden die Ermittlungen offiziell wegen Verjährung eingestellt.

Mittlerweile kamen Details ans Licht, die den Verdacht bestärken, daß der "Verfassungsschutz" über Jahre hin von dem rechtsextremistischen Hintergrund der Mord-Serie wußte: Wie die 'Dresdener Morgenpost' berichtet, ließ das LKA im vergangenen Jahr eine Musik-CD der Neonazi-Plattenfirma 'PC Records' indizieren. Auf dieser CD wird ein "Döner-Killer" und die Mordserie an neun Unternehmern türkischer und griechischer Herkunft besungen. Zudem würden darauf weitere Morde angekündigt.

Vor vier Tagen hatte der thüringer Innenminister Jörg Geibert gegenüber der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung' die Vermutung eines LKA-Zielfahnders aus dem Jahr 2001 erwähnt, wonach zumindest einer der Neonazis von "oben" gedeckt werde. Damals sei vermutet worden, daß eine der gesuchten Personen eine Quelle des "Verfassungsschutzes" gewesen sei. Daraufhin habe der Präsident des Landesamtes für "Verfassungsschutz" dienstliche Erklärungen in seinem Hause zu dem Vorwurf eingeholt und - wie kaum anders zu erwarten - den Verdacht dementiert.

Mittlerweile gibt es Informationen, daß die Neonazi-Zelle um Böhnhardt und Mundlos mehr als die bislang bekannten vier Personen umfaßte. Dies wird durch Aussagen von Generalbundesanwalt Harald Range bestätigt, der von zwei weiteren Verdächtigen neben Beate Z. und Holger G. sprach. Beate Z. hatte sich am 8. November selbst den Behörden gestellt. Am 13. November wurde in Hannover Holger G. verhaftet, der im Verdacht steht, zu der Terrorgruppe gehört zu haben. Auch laut BKA-Präsident Jörg Ziercke gibt es Indizien für einen Kreis von UnterstützerInnen: Die rechtsextreme Gruppe "Thüringer Heimatschutz", aus der der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) entstanden ist, habe zeitweise zwischen 170 und 180 Mitglieder gehabt.

Am 4. November waren Böhnhardt und Mundlos nach einem Banküberfall tot in einem abgebrannten Wohnwagen aufgefunden worden. Laut Polizeiangaben sollen sie Selbstmord begangen haben. Kurz darauf wurde die konspirative Wohnung in Zwickau gesprengt und brannte aus. In den Trümmern sollen die Waffen und eine DVD gefunden worden sein, auf der sich die drei zu den Morden und weiteren Anschlägen bekennen. Vier Tage darauf stellte sich die 36-jährige Beate Z. der Polizei.

Die Neonazi-Zelle steht im Verdacht, hinter der bundesweiten Mordserie zu stehen, der zwischen 2000 und April 2006 acht türkischstämmige Kleinunternehmer und ein Grieche und 2007 in Heilbronn eine Polizistin zum Opfer fielen. Darüber hinaus besteht der Verdacht, daß die Zelle in den Jahren 2001 und 2004 in Köln zwei Sprengstoffanschläge mit insgesamt 23 Verletzten verübt hat.

Eine Chronologie der Morde, bei der dieselbe Waffe, eine Pistole der Marke Ceska, benutzt worden war:

9. September 2000
In Nürnberg wird der 38-jährige türkischstämmige Blumenhändler
Enver S. erschossen.

13. Juni 2001
Ebenfalls in Nürnberg wird der 49-jährige Änderungsschneider Abdurrahim Ö. ermordet.

27. Juni 2001
In Hamburg wird der 31-jährige Gemüsehändler Süleyman T. in seinem Laden ermordet.

29. August 2001
Der 38-jährige Gemüsehändler Habil K. wird in München in der Nähe eines Neonazi-Treffpunktes ermordet.

25. Februar 2004
Der 25-jährige Aushilfsverkäufer in einem Döner-Laden, Yunus T., wird in Rostock ermordet.

9. Juni 2005
In Nürnberg wird der 50-jährige Ismail Y. an seinem Döner-Stand ermordet.

15. Juni 2005
Der griechischstämmige 41-jährige Theodorus B. wird in seinem Laden, einem Schlüsseldienst in München, ermordet.

4. April 2006
In Dortmund wird in den Mittagsstunden an einer vielbefahrenen Straße der 39-jährige Kioskbesitzer Mehmet K. ermordet.

6. April 2006
In Kassel wird der 21-jährige Halit Y., der Sohn eines Internet-Café-Betreibers, an der Theke ermordet. Später stellt sich heraus, daß ein beamteter Mitarbeiter des hessischen "Verfassungsschutzes" zur Tatzeit anwesend war.

25. April 2007
In Heilbronn wird Michele K., eine 22-jährige Bereitschaftspolizistin, erschossen. Ihr Kollege überlebt schwer verletzt.

Alle Opfer starben durch Schüsse in den Kopf.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      V-Mann "Kleiner Adolf"
      war in Kassel bei Mord zugegen (15.11.11)

      Neonazi-Terroristen
      Pässe vom Geheimdienst? (13.11.11)

      Trojaner-Skandal weitet sich aus
      "Big Brother" kann noch mehr (19.10.11)

      0zapftis - CCC analysiert "Bundes-Trojaner"
      Verfassungsignoranz und Dilettantismus (8.10.11)

      Stasi-Akten offenbaren Nazi-Hintergrund
      des Dutschke-Attentats von 1968 (6.12.09)

      Mielke geistert weiter durch deutsche Telefone
      Zahl der Abhör-Aktionen steigt dynamisch (23.09.09)

      Postzensur in der BRD
      Wieviel das Grundgesetz in den 1950er-Jahren wert war (27.06.09)

      60 Jahre Unrechts-Staat BRD
      (23.05.09)

      Ohnesorg-Mörder erneut angeklagt
      Kurras war anscheinend Stasi-Spitzel (22.05.09)

      Ohne V-Leute würde NPD zusammenbrechen
      Baden-Württembergs Innenminister Rech plaudert (8.03.09)

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      Buback-Sohn legt Finger in offene Wunde (24.12.08)

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      Zahl der Abhör-Aktionen nimmt weiter zu (20.05.2008)

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      Mabuse und Mielke im Jenseits blaß vor Neid
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      "Rot-Grün" im Überwachungswahn (8.05.03)

      Echelon und die deutsche Wirtschaft (5.03.01)

      Stasi-Mielkes Auferstehung (23.02.01)

      Echelon: Existenz des Abhörsystems
      erstmals von einer Regierung bestätigt (21.01.01)

 

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