23.09.2009

Mielke geistert weiter
durch deutsche Telefone

Zahl der Abhör-Aktionen steigt dynamisch

Allein seit 2007 stieg die Zahl der Überwachungs-Aktionen von Telefonen und Computern in Deutschland um 11 Prozent. Dabei sind allerdings lediglich die (im Schnellverfahren) von RichterInnen genehmigten Überwachungen durch die Polizei statistisch erfaßt worden, jedoch nicht die Bespitzelungen durch Verfassungsschutz, andere Geheimdienste oder etwa die Deutsche Bahn AG (siehe unseren Artikel v. 14. Mai 2009) und andere Großkonzerne.

Die Zahl der Telefonüberwachung bei Verdacht auf Drogenhandel hat laut der vorliegenden Statistik gegenüber 2007 sogar um rund 50 Prozent zugenommen, während entsprechende Delikte bei weitem keine derartige Steigerungsrate vorweisen oder auch nur die Aufklärungsrate in diesem Bereich verbessert worden wäre. So ist es naheliegend, anzunehmen, daß eine Vielzahl anderer Überwachungen mit dem Deckmantel der Drogenfahndung durchgeführt wurden.

Die Steigerungsrate bei den Telefonüberwachungs-Aktionen in Deutschland von 11 Prozent von 2007 auf 2008 wurde vom Bundesamt für Justiz veröffentlicht, darf also noch als geschönt betrachtet werden. Die Zahlen der Justiz-Statistik beziehen sich zudem lediglich auf diejenigen Abhörmaßnahmen, die auf der Basis der Strafprozeßordnung erfolgten. Dabei handelt es sich um Abhör-Aktionen, die im Rahmen laufender Ermittlungs- und Strafverfahren wegen eines konkreten Verdachts auf eine Straftat zugelasen wurden. Abhöraktionen und Lauschangriffe der Polizei zu präventiven Zwecken sind also in dieser Statistik ebenfalls nicht enthalten. Überwachungs-Aktionen durch die deutschen Geheimdienste Verfassungsschutz, BND und MAD sind übrigens generell der (wenig wirksamen) Kontrolle der Justiz entzogen. Die Geheimdienste soll lediglich die sogenannte G-10-Kommission des Deutschen Bundestages kontrollieren.

Daß sich die deutsche Justiz für einen Überwachungswahn instrumentalisieren läßt, der bereits seit der Zeit der "rot-grünen" Bundesregierung die Dimensionen der Überwachung in der DDR-Diktatur unter der Regie von Stasi-Chef Erich Mielke weit hinter sich gelassen hat, darf nicht verwundern. (Siehe hierzu unseren Artikel v. 23. Februar 2001) AmtsrichterInnen sind gezwungen, Telefon- überwachungen im Fließbandverfahren zu unterschreiben, ohne auch nur annähernd die Zeit für eine Prüfung der vorgelegten Überwachungsgründe zu haben.

Laut dieser jetzt vorliegenden Statistik gab es im vergangenen Jahr 5.348 solche Verfahren, 2007 waren es 4.806. Insgesamt 16.463 Mal wurden Überwachungsmaßnahmen angeordnet. Besonders drastisch ist der Anstieg mit 30 Prozent in Bayern ausgefallen, wo im vergangenen Jahr 1.023 Verfahren mit Telekommunikations- überwachung registriert wurden. Im Vorjahr waren es laut Justiz-Statistik 782 gewesen. Doch bereits im Mai 2008 (siehe unseren Artikel v. 20. Mai 2008) hatte der Branchenverband Bitcom einen Bericht vorgelegt, aus dem hervorgeht, daß sich allein die Zahl der abgehörten Internet-Rufnummern von 2007 auf 2008 mehr als verdreifacht hat. Auch auf eMail-Konten und komplette Internetzugänge griffen die Ermittler mit Steigerungsraten von 45 und 57 Prozent deutlich häufiger zu als noch 2007.

Vor der Bundestagwahl melden sich nun plötzlich die Pseudo-Grünen zu Wort. Deren Vorstandsmitglied Malte Spitz nennt die Zahl der Überwachungs-Aktionen "alarmierend" und die "Verhältnismäßigkeit ihrer Anwendung" stehe daher immer stärker in Frage. In der Zeit von 1998 bis 2005 schwiegen sie fein still.

Wenig Beachtung findet traditionell der jährliche Bericht des Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, der auch heuer einmal wieder "erhebliche datenschutzrechtliche Defizite" bei der geltenden gesetzlichen Regelung der Telefonüberwachung beklagte. Der erneute Anstieg der Überwachungsfälle sei "bedauerlich", hieß es am Dienstag aus seiner Behörde. Der Katalog der Straftaten, die Telefonüberwachung rechtfertigen, müsse endlich reduziert werden. Zuletzt sei aber das Gegenteil geschehen.

Intensiv genutzt wird den Zahlen zufolge auch die Vorrats- datenspeicherung. Seit 1. Januar 2008 müssen Telekommu- nikationsanbieter alle Verbindungsdaten für sechs Monate speichern. Bei Mobiltelefonaten ist auch der Standort bei Gesprächsbeginn zu registrieren. In 8.316 Verfahren nutzten StaatsanwältInnen solche "Verkehrsdaten".

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel

      Demo "Freiheit statt Angst" in Berlin
      20.000 gegen Überwachungswahn (13.09.09)

      'aspekte'-Sendung mit Kritik an Internet-Sperren-Gesetz
      Ex-Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem äußert
      schwerwiegende Bedenken (1.08.2009)

      Internet - Kinderpornographie - Vorwand für politische Zensur
      Anhörung im Bundestag (4.06.09)

      Vorläufige Bilanz des Überwachungs-Skandals
      bei der Bahn / Keine Beweise gegen Mehdorn (14.05.2009)

      Gegen politische Zensur des Internets
      Online-Petition gegen Internetsperre
      am ersten Tag mehr als 16.000 UnterzeichnerInnen (5.05.09)

      Bundesverfassungsgericht stoppt Wahl-Computer
      Die Manipulierbarkeit von elektronischen Speichersystemen,
      'Wikipedia' und Internet-Umfragen (3.03.2009)

      Aktionismus gegen Kinderpornographie
      zielt auf Zensur des Internets
      Im Visier ist das letzte Kommunikationsfeld
      für freie linke Nachrichten (1.02.09)

      ELENA - Eine gigantische Datenbank
      soll Angaben von 40 Millionen Beschäftigten umfassen (26.06.2008)

      ARD-Magazin 'Report':
      Meldedaten im Internet frei zugänglich (23.06.2008)

      Telekom schnüffelte in Eigenregie
      Staatsanwaltschaft ermittelt (24.05.2008)

      Big Brother hört mit
      Zahl der Abhör-Aktionen nimmt weiter zu (20.05.2008)

      Bundesverfassungsgericht präsentiert größte
      Mogelpackung aller Zeiten: Das virtuelle Grundrecht (28.02.2008)

      Bald alle Deutsche in "Superdatei" erfaßt?
      Datenschutzbeauftragter kritisiert Pläne für Bundesmelderegister
      (12.02.08)

      30.000 klagen gegen Vorratsdatenspeicherung
      Sensibilität wächst wie zu Zeiten des Volkszählungsboykotts 1987
      (2.01.08)

      Datenschutz - mehr Löcher als Käse
      BKA speichert IP-Adressen (27.11.07)

      15.000 in Berlin gegen Stasi 2.0 (23.09.07)

      Wie die Bundeswehr ihre Daten schützt
      Daten über "rot-grüne" Kriegseinsätze vernichtet (25.06.07)

      Frankreichs Regierung von US-Geheimdienst abgehört
      "Blackberry" mit Hintertürchen (21.06.07)

      Bundesverfassungsgericht:
      Abhören von El-Masri-Anwalt war verfassungswidrig (16.05.07)

      Staatliches Hacken privater Computer bereits seit 2005
      Im Vergleich zu Schily ist Schäuble ein Waisenknabe (25.04.07)

      Wozu dienen Überwachungs-Kameras?
      ...zur Kriminalitätsbekämpfung jedenfalls nicht (25.02.05)

      Der 'spiegel' enthüllt:
      Totalüberwachung der Konten (21.11.04)

      Mabuse und Mielke im Jenseits blaß vor Neid
      Neues "rot-grünes" Telekommunikationsgesetz (26.01.04)

      "Grüne" Bundestagsfraktion
      macht Krypto-Affaire zum Skandal (8.11.03)

      "Grüner" Bundestagsabgeordneter für Daten-FKK?
      Die Gedanken des rechtspolitischen Sprechers... (6.11.03)

      "Rot-Grün" im Überwachungswahn (8.05.03)

      Echelon und die deutsche Wirtschaft (5.03.01)

      Stasi-Mielkes Auferstehung (23.02.01)

      Echelon: Existenz des Abhörsystems
      erstmals von einer Regierung bestätigt (21.01.01)

 

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