1.10.2016

NSU-Akten vorsätzlich geschreddert
Risikoloses Geständnis eines BfV-Agenten

Geheimdienst und geschredderte Akten - Grafik: Samy - Creative-Commons-Lizenz Nicht-Kommerziell 3.0
Wie jetzt anhand eines öffentlich zugänglichen Aussage-Protokolls bewiesen werden kann, hatte ein BfV-Agent mit dem Tarnnamen Lothar Lingen am 24. Oktober 2014 gegenüber dem Vertreter der Bundesanwaltschaft, Jochen Wein­garten, zugegeben, am 11. November 2011, 7 Tage nach dem Auffinden der Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, Akten geschreddert zu haben, um die Verantwortung des "Verfassungsschutzes" zu verschleiern.

Am 4. November 2011 überfielen zwei maskierte Männer - laut offizieller Darstellung die Neonazi-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos - eine Sparkasse in Eisenach. Wenige Stunden später entdeckte die Polizei ein verdächtiges Wohnmobil in einem Eisenacher Neubaugebiet. Ob Schüsse gefallen sind, ist bis heute nicht geklärt. Das Wohnmobil brannte gegen 11:30 Uhr und die mutmaßlichen Bankräuber wurden angeblich kurz danach darin tot vorgefunden. Erst ab jenem 4. November wurde der deutschen Öffentlichkeit die Existenz einer - angeblich dreiköpfigen - Terror-Bande "Nationalsozialistischer Untergrund", kurz: NSU, bekannt.

Zwischen September 2000 und April 2007 wurden in Deutschland zehn Menschen ermordet und diese Morde werden seit November 2011 der Terror-Bande NSU zugeschrieben. Doch in den vergangenen fünf Jahren wurde immer deutlicher, daß diese Morde aus Kreisen staatlicher Organe unterstützt, wenn nicht sogar organisiert wurden (Siehe weiter unten unsere Serie von mittlerweile 27 Artikeln). Bislang konnte dieser Verdacht, der sich auf eine Vielzahl von Indizien stützt, nicht bewiesen werden. Daß jedoch enorme Mengen von Akten des Bundes-"Verfassungsschutzes" und etlicher "Verfassungs­schutz"-Ämter von Bundesländern an mehreren verschiedenen Orten "zufällig" kurz nach dem 4. November 2011 geschreddert wurden und es sich dabei um ein "Versagen" der Geheimdienste gehandelt habe - wie es bislang die Sprachregelung von den Mainstream-Medien über alle großen Parteien bis einschließlich der Linkspartei war - , erschien etlichen KritikerInnen wenig wahrscheinlich (Siehe hierzu etwa unseren Artikel v. 4.08.12).

Zumindest in einem Fall handelte es sich nicht um Zufall, sondern um Absicht. Das beweist die Aussage des BfV-Agenten und für die Löschung der Daten verantwortlichen "Verfassungsschutz"-Referatsleiters mit dem Tarnname Lothar Lingen. Dieser hatte am 11. November veranlaßt, daß die Akten zu mindestens sieben Quellen im rechtsextremen Thüringer Heimatschutz (THS) vernichtet wurden. Bei seiner Vernehmung durch den Vertreter der Bundesanwaltschaft, Jochen Weingarten, sagte er Folgendes aus: Nach dem Bekanntwerden des NSU sei am 10. November 2011 klar gewesen, daß sich die Öffentlichkeit alsbald für die Quellen des "Verfassungsschutzes" in der Neo-Nazi-Szene Thüringens interessieren werde. Denn aus diesen Kreisen kamen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Die Befürchtung sei im Raum gestanden, es werde gefragt, warum der "Verfassungsschutz" trotz mindestens zehn bekannter V-Leute in der Neo-Nazi-Szene Thüringens nichts über den NSU gewußt habe. Wenn aber die Existenz der Quellen nicht bekannt würde, wird der BfV-Agent weiter zitiert, tauche vielleicht auch die Frage nicht auf, warum das BfV nichts wußte. Deshalb habe er entschieden, die Akten vernichten zu lassen. Das müsse er "ehrlicherweise" sagen.

Fraglich ist hierbei, ob dies die volle Wahrheit ist oder ob "Lothar Lingen" nur eine weitere Verharmlosungs-Geschichte präsentiert, da die zielgerichtete Vernichtung von Akten nicht mehr zu leugnen war. Mit einer Bestrafung muß der BfV-Agent nach dieser Aussage nicht rechnen. Dies zeigt die "politische Aufarbeitung" des NSU-Skandals der vergangenen Jahre. Mit dieser Darstellung der Akten-Vernichtung geht er allenfalls das "Risiko" ein, bei ungekürzten Bezügen in den einstweiligen Ruhestand versetzt zu werden. Statt daß die deutschen Geheimdienste, die in erster Linie als Wurmfortsatz der CIA und der NSA agierten, aufgelöst worden wären, gehen diese - sowohl personell als auch finanziell als auch hinsichtlich der Erweiterung ihrer Bespitzelungs-Kompetenzen gegenüber der deutschen Bevölkerung - aus dem NSU-Skandal gestärkt hervor.

Eigentlich überflüssig zu erwähnen: Die Bundesanwaltschaft wußte seit dem 24. Oktober 2014 darüber Bescheid, daß Beweismittel vorsätzlich vernichtet wurden und unternahm dennoch bis heute nichts.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Fakten contra Theorie
      Wie starben Mundlos und Böhnhardt? (20.02.16)

      Todes-Serie der NSU-ZeugInnen
      Der fünfte Sarg (15.02.16)

      Toter NSU-Zeuge ermordet?
      Fahrlehrer sah zweiten Mann (13.04.15)

      NSU-Zeugin tot
      Jetzt sind es drei (30.03.15)

      NSU-DVD von 2005 aufgetaucht
      Geheimdienste angeblich ahnungslos (1.10.14)

      Thüringer NSU-Ausschuß
      Neo-Nazi-Verbindungen im Fall Kiesewetter (10.03.14)

      Fahndung nach Neo-Nazi-Terror-Bande
      im Juni 2003 abgeblockt
      "Kriegen Sie da nichts raus!" (10.12.13)

      NSU-Zeuge im Auto verbrannt
      Wurde Florian Heilig ermordet? (12.10.13)

      Gehörten V-Leute zu NSU?
      Geheime Liste mit 129 Personen (24.03.13)

      Brisante NSU-Listen mit Kontakt-Daten
      15 Jahre lang verschwunden (1.03.13)

      Experte Hajo Funke:
      NSU bestand aus mehr als 3 Personen (25.01.13)

      NSU und Behörden
      Schlamperei oder Beihilfe zum Terror? (4.08.12)

      Polizei und Ku-Klux-Klan
      Kollegen von Kiesewetter waren Mitglied (31.07.12)

      4. November 2011: Wer versuchte
      Beate Z. anzurufen?
      Telefon-Nummer aus dem
      Sächsische Staatsministerium des Innern (30.05.12)

      Neue Hinweise auf staatliche Beihilfe
      für Neonazi-Terrorbande (12.02.12)

      Standen staatliche Organe
      hinter der Neonazi-Terrorbande NSU? (30.01.12)

      Neonazi-Terrorbande
      Beate Z. wurde 2007 polizeilich vernommen (29.01.12)

      Neonazi-Terrorbande
      "Verfassungsschutz" war detailliert informiert (31.12.11)

      Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe:
      Kontakt im Jahr 1999 (22.12.11)

      Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe
      durch Staatsorgane (20.12.11)

      Wie kam die Neonazi-Terrorbande
      zu gefälschten Pässen? (18.12.11)

      Neonazi-Terrorbande
      Die Spur führ nach Ludwigshafen (17.12.11)

      Bericht eines US-Geheimdienstes:
      Deutsche Agenten in Mord an Polizistin verwickelt (30.11.11)

      Neonazi-Zelle für versuchten
      Terror-Anschlag 1997 verantwortlich?
      Viele Hinweise auf Geheimdienst-Verwicklung (20.11.11)

      Festnahme der Neonazi-Zelle 1999 gestoppt
      Befehl von "oben" (18.11.11)

      V-Mann "Kleiner Adolf"
      war in Kassel bei Mord zugegen (15.11.11)

      Neonazi-Terroristen
      Pässe vom Geheimdienst? (13.11.11)

 

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