24.05.2008

Telekom
schnüffelte in Eigenregie

Staatsanwaltschaft ermittelt

Diesmal sind es nicht BND oder CIA, sondern die Deutsche Telekom selbst überwachte Telefonverbindungen. Wie das Nachrichtenmagazin 'spiegel' berichtet, erschüttert ein "ungeheurer Skandal" das Unternehmen: Telefonverbindungen von AufsichtsrätInnen, ManagerInnen und JournalistInnen wurden im Auftrag des Konzerns überwacht.

"Derzeit wird das umfangreiche Material ausgewertet, das uns die Telekom übergeben hat", bestätigte die Bonner Staatsanwaltschaft. Die Deutsche Telekom hat sich selbst angezeigt. Telekom-Chef René Obermann versprach, die Staatsanwaltschaft bei ihren Bemühungen um eine lückenlose Aufklärung zu unterstützen.

Die Anzeige sei auf Anordnung von Telekom-Chef René Obermann am 14. Mai erstattet worden, teilte der Konzern mit. Weitere Details wolle man unter Hinweis auf die laufende staatsanwaltschaftliche Prüfung nicht mitteilen. "Ich bin über die Vorwürfe zutiefst erschüttert. Wir nehmen den Vorgang sehr ernst", sagte Obermann. Zusätzlich zur Staatsanwaltschaft sei eine Kölner Anwaltskanzlei mit der Untersuchung der Vorfälle beauftragt worden.

Hintergrund sind offenbar Indizien für eine umfangreiche Überwachung von Telefondaten durch eine "Berliner Beratungsfirma" im Auftrag bislang unbekannter Manager aus der obersten Führungsetage der Telekom. Das Hamburger Nachrichtenmagazin bezieht sich auf "Erkenntnisse", wonach es 2005 und 2006 zu Fällen von mißbräuchlicher Nutzung von Verbindungsdaten gekommen sei. Damals war Obermanns Vorgänger Kai-Uwe Ricke Vorstandschef der Telekom.

Um undichte Stellen im Vorstand und Aufsichtsrat aufzuspüren, sammelte und überprüfte der Konzern nach 'spiegel'-Informationen über ein Jahr lang Telefonverbindungsdaten von AufsichtsrätInnen, ManagerInnen und JournalistInnen. Der 'spiegel' zitiert aus einem Fax der "Berliner Beratungsfirma"an einen Telekom-Juristen, laut dem das Ziel der unter den Codenamen "Clipper" und "Rheingold" durchgeführten Schnüffelaktionen und einiger anderer "Nebenprojekte" darin bestand, "mehrere hunderttausend Festnetz- und Mobilfunk-Verbindungsdatensätze der wichtigsten über die Telekom berichtenden deutschen Journalisten und deren private Kontaktpersonen" auszuwerten. In das Büro eines Wirtschaftsjournalisten soll sogar ein "Maulwurf eingeschleust" worden sein, der über Monate "direkt an die Konzernsicherheit" der Telekom berichtet habe, heißt es in dem dreiseitigen Dokument.

Der Chef der externen Sicherheitsfirma habe selbst die Projekte so eingeschätzt: "Die Projekte können selbst im nachrichtendienstlichen Maßstab nur als ungewöhnlich flächendeckend und ausgefeilt bezeichnet werden." Weitere Späh-Attacken seien "konkret geplant und beauftragt" gewesen, unter anderem "die Überwachung eines ihrer Anteilseigner mit Hauptsitz in New York",

Die Telekom bestätigte den 'spiegel'-Bericht heute (Samstag) teilweise: "Bei der Deutschen Telekom ist es nach derzeitigen Erkenntnissen in 2005 und nach aktuellen Behauptungen auch in 2006 zu Fällen von mißbräuchlicher Nutzung von Verbindungsdaten gekommen", teilte der Konzern in Bonn mit. Bereits im Sommer 2007 sei man aufgrund interner Hinweise einem "Einzelfall" nachgegangen und habe diesen Vorfall aufklären können. Als Konsequenz daraus sei es zu weitreichenden personellen und organisatorischen Veränderungen in der Konzernabteilung Sicherheit gekommen. Die Abteilung sei komplett umgebaut und mit neuen Kontrollmechanismen ausgestattet worden. Verantwortlich für die Konzernabteilung Sicherheit war in der fraglichen Zeit der frühere Personalvorstand Heinz Klinkhammer. Der ehemalige Vizepräsidenten des Bundeskriminalamts (BKA) und Abteilungsleiter innere Sicherheit im Bundesinnenministerium Reinhard Rupprecht sei noch 2007 als Sicherheitsbevollmächtigter eingesetzt worden, erklärte Obermann, der seit November 2006 an der Telekom-Spitze steht.

"Am 28. April 2008 wurden dem Vorstand nun neue, wesentlich umfangreichere und noch gewichtigere Vorwürfe durch ein Schreiben eines offenbar an den Vorgängen extern Beteiligten bekannt, der aus der Konzernabteilung Sicherheit heraus beauftragt worden war", so Obermann. Unklar ist bislang allerdings, ob die Schnüffel-Aktionen ausschließlich in die Amtszeit von Obermanns Vorgänger Kai-Uwe Ricke fallen. Dem 'spiegel' zufolge ist dem Berliner Fax zu entnehmen, daß auch noch nach November 2006 am Projekt "Clipper" gearbeitet worden sei.

Ex-Telekom-Chef Ricke begründete die "Nachforschungen" damit, daß über Jahre hin wieder interne Papiere in die Öffentlichkeit gelangt seien. "Die Telekom war ja löchrig wie ein Schweizer Käse", sagte er. "Wir haben im Vorstand des Öfteren darüber gesprochen und beschlossen, aktiv dagegen vorzugehen." In Absprache mit Zumwinkel sei dann die Konzernsicherheit etliche Male mit Untersuchungen beauftragt worden. Vorstandsvorlagen seien mit geheimen Kürzeln versehen oder gezielt Dokumente mit falschen Informationen verteilt worden, um undichte Stellen aufzuspüren. Ricke betonte jedoch: "Ich habe niemals illegale Aufträge erteilt und erst recht zu keinem Zeitpunkt angeordnet, Telefonverbindungsdaten auszuspähen."

Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß der damalige Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel und der frühere Telekom-Chef Ricke nichts über die Qualität der Bespitzelung wußten, zumal auch Zahlungen an die Berliner Beratungsfirma geleistet wurden.

Die Affäre erinnert an den Skandal um illegal abgehörte Gespräche in Italien im Jahr 2006. Damals war der offenbar größte Abhör-Ring in der Geschichte des Landes aufgedeckt worden. Auf Anweisung eines Mailänder Gerichtes wurden mehr als 20 Verdächtige festgenommen, unter ihnen der frühere Chef für Sicherungssysteme der Telecom Italia, Giuliano Tavaroli. Ebenfalls betroffen waren die Nummer Zwei des italienischen militärischen Geheimdienstes Sismi, Marco Mancini, der Chef einer Florentiner Privatdetektei sowie mehrere Polizisten und Carabinieri.

Das 1997 ins Leben gerufene Netzwerk soll Tausende Menschen abgehört haben, unter ihnen Politiker, Fußballspieler und Bankiers. Dabei gewonnene vertrauliche Erkenntnisse wurden weiter verkauft oder für Erpressungen genutzt, was den Kriminellen insgesamt 20 Millionen Euro eingebracht haben soll.

 

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