25.01.2009

Bilanz des Gaza-Kriegs

Die Mehrheit der Israelis und der PalästinenserInnen
sind Opfer

Nach dem Vorbild des zweiten Irak-Kriegs, der am 20. März 2003 begann und bis heute fortdauert, schloß das israelische Militär eine unabhängige Berichterstattung aus. JournalistInnen, die sich in Israel am 27. Dezember 2008 aufhielten, erfuhren lediglich vom israelischen Militärsprecher: "Das Vorrücken im Gazastreifen erfolgt nach Plan. Die Soldaten erfüllen ihre Mission."

Angeblich wurde der Gazastreifen in drei Teile zerschnitten. Ob die israelischen SoldatInnen sich - wie später von der israelischen Regierung behauptet - außerhalb dicht besiedelter Gebiete positionierten und "geziellte Kommandounternehmen gegen Hamas-Stellungen und Verstecke" durchführten, konnten JournalistInnen nicht überprüfen.

Von Hügeln und Hausdächern in Israel oder Ägypten konnten JournalistInnen den Gaza-Krieg lediglich aus der Ferne beobachten und so weder die israelischen noch die Angaben von Seiten der Hamas verifizieren. Selbstverständlich konnten auch keine Beweise für die Vorwürfe gesammelt werden, das israelische Militär habe Phosphor-Bomben eingesetzt. "Es werden keine Angaben über Waffen und Munition preisgegeben", blockte der israelische Militärsprecher entsprechende Fragen ab. Menschrechtsorganisationen wie 'amnesty international' und 'Human Rights Watch' fordern Untersuchungen, ob sich Israel Kriegsverbrechen schuldig gemacht habe.

Für die Mehrzahl der arabischen Medien steht dagegen längst fest, daß sich das israelische Militär Kriegsverbrechen begangen habe. Zum Beweis wird vom TV-Sender 'Al Dschasira' ein Baby mit schweren Verbrennungen im Gesicht gezeigt, dessen Verletzungen angeblich durch israelische Phosphor-Bomben verursacht wurden. Eine unabhängige medizinische Untersuchung fehlt jedoch bislang. Vergessen sollte über den vermuteten besonderen Gräueln jedoch nicht werden, daß jeder Krieg und jeder Mord ein Verbrechen ist.

Im Gazastreifen hielten sich in den drei Wochen nach dem 27. Dezember zwar KorrespondentInnen arabischer Sender auf. Doch auch diese konnten lediglich aus sicherer Entfernung vom Dach des Medienzentrums auf Explosionen, Lichtblitze und Rauchpilze blicken und daher nicht mehr zu einem objektiven Bild des Gaza-Kriegs beitragen als ihre KollegInnen jenseits der Grenze. Weitere arabische JournalistInnen wurden von der Hamas lediglich beim Schifa-Hospital zugelassen, wo sie Bilder von herantransportierten Verletzten liefern konnten, die für die Propaganda nützlich sind. Investigativer Journalismus wie er noch zu Zeiten des Vietnam-Kriegs möglich, als ein Massaker wie jenes von My Lai aufgedeckt werden konnte, wird heute mit aller Macht verhindert.

Nach dem von der israelischen Regierung einseitig verkündeten Waffenstillstand kam es zu einem kuriosen Wettstreit um die Opferzahlen unter verkehrten Vorzeichen. Das israelische Militär verkündete hohe Opferzahlen auf palästinensischer Seite, um so den eigenen Erfolg zu beweisen: 1.310 palästinensische Tote wurden genannt, wovon zwei Drittel Männer im Kampfesalter und teilweise in Tarnuniform gewesen seien. Von Seiten der Hamas hieß es sofort, die Opfer seien "überwiegend Frauen und Kinder" gewesen. Ein italienischer Korrespondent gab nach einer Befragung palästinensischer ÄrtztInnen, die nicht zur Hamas gehörten, bekannt, daß es nach seiner Schätzung 600 Tote gegeben habe. Dies forderte den israelischen Militärsprecher zu einem scharfen Dementi heraus: Diese niedrige Einschätzung sei nicht akzeptabel. Mehr als 700 Hamas-Kämpfer seien getötet worden. Während die Hamas versucht, mit möglichst niedrigen Opferzahlen ihren "Sieg" zu begründen, scheint das israelische Militär die Zahl der Toten hochzutreiben, um so den "Sieg" über die Hamas zu beweisen.

Als die KorrespondentInnen nun den Gazastreifen inspizieren durften, kam der materielle Schaden ins Blickfeld - ein Schaden, der unbestreitbar weit überwiegend Frauen, Kinder und Alte unter den PalästinenserInnen trifft. Innerhalb weniger Stunden bereits legte die UNO per Pressemitteilung eine Bilanz der Zerstörung vor: 4.000 zerstörte und 20.000 beschädigte Häuser. Diese vorschnelle Bilanz ist jedoch recht fragwürdig. Nach einem Abgleich mit der Zahl der Toten erscheint das Verhältnis 1.300 zu 4.000 (zerstörte Häuser) selbst im ungünstigsten Fall wenig glaubhaft. Andernfalls stellte sich die zynische Frage, ob der israelische Geheimdienst mit Erfolg alle leerstehenden Häuser zur Zerstörung ans Militär gemeldet hat - und dies in einem der dichtest besiedelten Landstreifen der Welt.

Die Hamas hatte bereits nach ihrem Putsch im Juni 2007 ausnahmslos alle ausländischen JournalistInnen aus dem Gazastreifen vertrieben. Nur noch wenige reisten sporadisch ein. Den verbliebenen arabischen JournalistInnen wurden mit drastischen Methoden wie Schüssen in die Knie klargemacht, wie sie ihre Aufgabe zu verstehen hätten.

In Israel herrschte ebenso Pressezensur. JournalsitInnen sollten ihre Texte dem Militär vor deren Veröffentlichung vorlegen. Zwei Reporter des iranischen TV wurden verhaftet, weil sie angeblich "zu früh" über den Einmarsch israelischer Bodentruppen in den Gazastreifen berichteten. Das Aufmarschgebiet wurde zum militärischen Sperrgebiet erklärt und war für JournalistInnen tabu. Einem Urteil des obersten israelischen Gerichts, wenigstens einige Korrespondenten in den Gazastreifen einzulassen, wurde bis zum letzten Kriegstag nicht Folge geleistet.

Doch trotz der Mißachtung der Pressefreiheit von beiden kriegführenden Parteien ist kaum zu verschleiern, wer Opfer und wer Sieger diese Gaza-Krieges ist. Sieger sind sowohl die Hamas als auch das israelische Militär, da sie weiterhin - von verschiedenen Seiten - aufgerüstet werden. Opfer jedoch ist zum einen die Mehrheit der Israelis, die weiterhin unter der Bedrohung von Anschlägen, immer weiter reichenden Raketenangriffen und letztlich der Angst vor Vertreibung leben muß. Zum anderen ist es die Mehrheit der PalästinenserInnen, die - gleichgültig wem ihre Symphatien oder ihr Haß gelten - weiterhin in Elend leben und damit rechnen muß, durch ungebremsten israelischen Siedlungsbau mehr und mehr zurückgedrängt und zusammengepfercht zu werden.

 

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Anmerkungen

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