21.01.2009

Skandal bei Bio-Lebensmitteln
Schwindel mit Bio-Puten

Roswitha und Berthold Franzsander führten einen der größten deutschen Bio-Geflügelhöfe in Deutschland. In vielen deutschen Bio-Läden finden sich Produkte der Marke "RoBerts". Selbst zum Münchner Oktoberfest lieferten die Franzsanders, die parallel konventionelle und biologische Fleisch-Produkte vermarkteten, vergangenes Jahr rund 20.000 "Wiesn-Henderln". Doch nun flog ein Schwindel auf, der das Vertrauen in die Bio-Branche erschüttert.

Der Hof ist gesperrt und die Produkte der Franzsanders dürfen nicht mehr unter dem Bio-Siegel verkauft werden. Die Staatsanwaltschaft Paderborn ermittelt. Es besteht der dringende Verdacht, daß für Bio-Puten in großem Stil konventionelles Futter eingesetzt wurde. "Franzsander hat Biowaren auf den Markt gebracht, die keine sind", erklärt Babette Winter vom zuständigen Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen. Ihre KollegInnen hätten dem "ökologisch wirtschaftenden Betrieb einen nicht zulässigen Einsatz von konventionellen Futtermitteln nachgewiesen".

Mit nicht unbeträchtlicher "krimineller Energie" haben die Franzsanders versucht, die Spuren ihrer massiven Einkäufe von konventionellem - und somit preisgünstigerem - Futter für die Puten-Aufzucht zu verschleiern: Nach einem Hinweis wurde nun aufgedeckt, daß sie konventionelles Futter bei einer Vielzahl verschiedener Raiffeisen-Futtermittelhändler eingekauft hatten. Nach und nach kam heraus, daß Franzsanders im Jahr 2008 mehr als 900 Tonnen konventionelles Futter von verschiedenen Händlern bezogen haben. Eine solche Menge ist kein Klacks, denn damit lassen sich rund 300.000 Hähnchen oder 25.000 Puten schlachtreif mästen.

Berthold Franzsander versuchte es zunächst, sich mit offensichtlichen Schutzbehauptungen herauszureden. Seine Jungputen hätten nach dem einmal im Jahr stattfindenden Kontrollbesuch der Öko-Zertifizierer das Biofutter nicht mehr angenommen. Er habe ein Sterben der Puten befürchtet. Deshalb habe er 250 Tonnen konventionelles Futter an 9.000 Puten verfüttert - und zwar ausschließlich in deren ersten Lebenswochen. Der Rest - also 650 Tonnen - sei an anderes Vieh verfüttert worden, das er konventionell halte. Doch falls diese Angaben stimmen, hätte der Franzsander-Betrieb mit offenen Karten spielen und die Puten - mit geringerem Erlös - als konventionell gemästete Puten vermarkten können.

Schon lange wird in der Bio-Branche kritisiert, daß mit der EU-Ökoverordnung (von der damaligen "Umwelt"-Ministerin Renate Künast eingeführt) eine Verwässerung der zuvor bei Bioland- und Demeter-Landwirten geltenden Standards möglich wurde. Denn erst seit deren Einführung dürfen landwirtschaftliche Höfe zugleich biologisch und konventionell wirtschaften. Laut Auflagen müssen zwar die Ställe voneinander getrennt, die Tierrassen verschieden und die "Betriebsabläufe" nachvollziehbar sein - in der Praxis verleitet eine solche Zweigleisigkeit jedoch insbesondere landwirtschaftliche Großbetriebe zum Einsatz billigeren konventionellen Futters bei der Produktion von Bio-Fleisch. Franzsanders gehörten zu den Größten: Tausende von Puten wurden aufgezogen, 180.000 Hähnchen pro Jahr geschlachtet und zudem 900.000 Küken für andere KollegInnen "vorproduziert". Bei kleineren Höfen ist ein wichtiges Kontroll-Element der unangekündigte Besuch von KundInnen, während bei unübersichtlichen Großbetrieben der einmal im Jahr stattfindende und angekündigte Kontrollbesuch des Öko-Zertifizierers ausreichen soll.

Bei Franzsanders ist selbst der anhand der Betriebs-Unterlagen nachzuweisende Einsatz der Futtermittel nicht lückenlos überprüfbar. "Anhand der Unterlagen und in Anhörungen konnte Franzsander nicht nachweisen, welche Chargen betroffen sind", stellten nun KontrolleurInnen des Landesamtes fest. Ein Silo voll mit normalem Futter ist mindestens - entgegen der ersten Schutzbehauptungen der Franzsanders - auch an ältere Bioputen verfüttert worden. Dies ergaben die Ermittlungen. Babette Winter vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen kommentiert: "Der mit Abstand größte Bioschwindel, den es in Nordrhein-Westfalen bisher gab".

Betroffen ist außer den getäuschten Bio-KundInnen auch der Bioland-Verband. Franzsander war einer von rund 5.000 LandwirtInnen und gut 800 Lebensmittelfirmen, die dem größten Öko-Anbauverband angehören. Die Richtlinien von Bioland sind nach wie vor deutlich strenger als die der EU-Ökoverordnung. So darf eigentlich auf ein und demselben Hof nicht zugleich konventionell und biologisch gearbeitet werden. Doch diese Richtlinie wird umgangen, wenn ein Bio-Landwirt auf einem möglicherweise direkt angrenzenden Gelände eine zweite Firma anmeldet, in der er konventionell wirtschaftet. Bioland hat den Franzsanders umgehend gekündigt. Das Vertrauen der Bio-Kundschaft ist schwer angeschlagen.

Mitgleider des Bioland-Verbandes, die ihre Produkte mit dessen Siegel vermarkten dürfen, müssen strenge Regeln anerkennen. Weizen und anderes Getreide beispielsweise erhält erst nach einer zweijährigen Umstellunds-Phase die Anerkennung als Öko-Produkt. Für Bio-Puten gilt nach Bioland-Kriterien ein Verbot von Gen-Futter und die Vergabe von Medikamenten unterliegt exakt definierten Restriktionen. Jede Pute erhält mindestens 10 Quadratmeter Grünauslauf und sogar einen überdachten Schlechtwetterauslauf. Vorgeschrieben sind auch Sitzstangen für die Tiere. Bei Bioland dürfen die Schnäbel der Puten im Gegensatz zur konventionellen Tierhaltung nicht beschnitten werden. Frühestens nach 20 Wochen dürfen die Tiere geschlachtet werden. Die Bioland-Kriterien sind auch strenger als die EU-Ökoverordnung, die etwa Fischmehl als Futterbestandteil für Geflügel zuläßt. Das ist bei Bioland verboten. Puten haben einen hohen Bedarf an dem Eiweißbaustein Methionin. Alle Biobetriebe dürfen jedoch kein synthetisch hergestelltes Methionin einsetzen, dürfen sich aber in eng begrenzten Mengen mit konventionellen Eiweißprodukten behelfen. Bei Bioland sind nur Kartoffeleiweiß und Maiskleber erlaubt.

Ein großes Problem sind jedoch die Kontrollen. Diese werden routinemäßig lediglich einmal pro Jahr durchgeführt und finden zudem nicht unangekündigt statt. Bislang setzen Verbände wie Bioland oder Demeter allerdings die Hoffnung darauf, daß auch so das Risiko, bei Schummeleien erwischt zu werden, ausreichend sei. Denn wer einmal erwischt wird, kann nicht mehr mit Bio-Siegel vermarkten und dessen Ruf ist unwiederbringlich dahin.

Die Kontrolleure der Bio-Verbände sind nicht staatlich zugelassen, sondern kommen von privaten Öko-Zertifizierungs-Unternehmen. Das ist ähnlich wie in Industrieunternehmen, die einmal im Jahr die Wirtschaftsprüfer ins Haus lassen müssen. Die Biokontrolleure nehmen sich die Geschäftsbücher vor, in denen der Bauer etwa auflistet, welche Tiere er hat und wie viel Futter er kauft. "Plausibilitätsprüfung" nennt sich das. Ob jedoch der nun von Franzsanders getäuschte Bioland-Verband Konsequenzen ziehen wird, steht in den Sternen. Eine offizielle Stellungnahme deutet eher darauf hin, daß der Skandal verharmlost werden soll.

Mittlerweile gibt es auch in der Biobranche kaum noch zu durchschauende Firmen- und Gesellschafterverflechtungen, die lange Zeit nur aus dem konventionellen Agrobusiness bekannt waren. Mit immer größeren Höfen und Verarbeitungsfirmen wächst das Risiko, daß es immer häufiger zu Skandalen kommt. Auch wenn die Bio-Branche noch längst nicht so oft Skandale zu verzeichnen hat wie die konventionelle Nahrungsmittelbranche, ist sie in weit höherem Maße auf das Vertauen ihrer Kundschaft angewiesen. Ist dieses erst einmal zerstört, bricht eine über Jahrzehnte mühsam von vielen idealistischen PionierInnen aufgebaute Alternative zur industriellen Landwirtschaft zusammen.

Noch ist es nicht soweit. In Ostwestfalen wurden zwar schon mal konventionelle Schweine, im Märkischen Kreis herkömmliche Milch als Öko verkauft. Für bundesweites Aufsehen sorgte in der Ökobranche vor allem der Nitrofen-Skandal. Das war vor sieben Jahren. Das giftige Nitrofen war über Futtergetreide in Bio-Fleisch und Bio-Eier gelangt. Dieses hatte in einer mit Ackerchemie belasteten Lagerhalle gelagert. Doch auch bei weniger Aufsehen erregenden Fällen wie beispielsweise beim Fund einer krebserregenden Chemikalie in der Bio-Schokolade des Öko-Konzerns Rapunzel im November 2007 oder dem Schwindel mit "Himalaya-Salz" zeigte die Bio-Branche eine erstaunliche Parallele zum sattsam bekannten Verhalten der konventionellen Nahrungsmittelbranche: Es wurde eher verharmlost als ehrlich Mißstände zu analysieren und zu beseitigen und: Es wurden bislang kaum Konsequenzen gezogen.

 

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