4.06.2012

Neustart bei der Linkspartei?
Kipping und Riexinger als Doppelspitze

Neues Spitzen-Duo: Katja Kipping und Bernd Riexinger, Göttingen, Juni 2012 Die von Alt-Star Gregor Gysi als Untergangs-Szenario an die Wand gemalte Spaltung scheint vorerst auf dem Bundesparteitag der Linkspartei vertagt worden zu sein. An das neue Führungs-Duo aus Katja Kipping und Bernd Riexinger sind offenbar große Hoffnungen geknüpft, den zermürbenden Richtungsstreit auflösen zu können. Der unterlegene Dietmar Bartsch stand für einen Kurs bedingungsloser Anbiederung an "Rot-Grün".

Die nun in Göttingen installierte Doppelspitze erinnert an das Duo, bestehend aus Antje Radke und Gunda Röstel, das 1998 eine vergleichbare Funktion bei den Pseudo-Grünen ausüben sollten. Auch aus dieser Partei waren bereits etliche Jahre zuvor nahezu alle Linken frustriert ausgetreten. Doch nach außen und gegenüber einem kleinen Rest von Linken in der Partei sollte das Bild aufrechterhalten werden, es sei zwischen links und rechts ein Kompromiß gefunden worden. Mit den Kriegsbeteiligungen der "rot-grünen" Bundesregierung von 1999 (Kosovo) und 2001 (Afghanistan), mit dem Schwindel eines angeblichen Atom-Ausstiegs (2000) und mit den Hartz-Gesetzen (2004) klärte sich das Bild. Heute müssen "Gallionsfiguren" wie Jürgen Trittin oder Claudia Roth das Vorhandensein von Linken innerhalb dieser Partei simulieren.

Doch es scheint, nach den inhaltlichen Beschlüssen in Göttingen - nicht nach der neuen Doppelspitze - zu urteilen, noch eine linke Mehrheit in der Linkspartei zu geben. So kamen Stimmen für etliche Änderungsanträge zum Leitantrag des scheidenden Bundesvorstands (Gesine Lötzsch und Klaus Ernst) merkwürdiger Weise sowohl aus westdeutschen als auch ostdeutschen Landesverbänden. In Anerkennung einer realen Armutsgrenze wurde etwa die Forderung nach einer Mindestexistenzsicherung und Mindestrente in Höhe von 1050 Euro mehrheitlich angenommen. Ob diese verbale Leistung jedoch viele Jahre realer Erfahrungen mit der Linkspartei/PDS in Landesregierungen von Berlin, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg vergessen machen kann, muß dahingestellt bleiben.

Nun heißt es, mit Kipping und Riexinger seien "Linke" an die Spitze gewählt worden, die "bewegungsorientiert" seien. Kipping und Riexinger ist zu konzidieren,daß sie sich verbal immer klar gegen Hartz IV und die "rot-grüne" Agenda 2010 positionierten. Doch inwiefern sie für eine "Bewegung" gegen Sozialabbau relevant gewesen sein sollen, ist nicht zu erkennen.

Gescheitert ist zwar mit Dietmar Bartsch die Gallionsfigur der "Reformer" innerhalb der Linkspartei, also all jener, die aus Karrieregründen jegliche inhaltliche Position zur Disposition stellen, um an die Futtertröge von Ministerämtern und Ministerialdirigenten, Ministerialräten oder Staatssekretären zu gelangen. Dies bedeutet aber noch lange nicht, daß die Linken in der Linkspartei damit einen durchschlagenden Erfolg erzielt hätten - auch wenn manche freudetrunkenen AnhängerInnen von Bernd Riexinger nach ihrem vermeintlichen Sieg begannen, die "Internationale" zu singen, und ihren Parteifeinden Sprüche an den Kopf warfen wie etwa: "Ihr habt den Krieg verloren!" Dies zeugt nicht nur von medienpolitischer Unerfahrenheit, sondern schlicht von Dummheit.

Kipping wird zwar nicht zu den "Reformern" innerhalb der Linkspartei gezählt. Es ist aber durchaus interessant zu rekapitulieren, wie sie sich in der Vergangenheit positioniert hat. So hatte die Linkspartei-"Strömung" der "Emanzipatorischen Linken" (EmaLi), zu der Kipping zählt, sich mit Bartsch solidarisch erklärt, nachdem dieser vom Posten des Bundesgeschäftsführers hatte zurücktreten müssen. Bartsch war Illoyalität vorgeworfen worden, er stand im dringenden Verdacht, dem 'spiegel' Interna über die Linkspartei zugespielt zu haben. Auch unterstützte Kipping die Kandidatur von Beate Klarsfeld bei der Bundespräsidentschafts-Wahl auf dem Ticket der Linkspartei, obwohl deren einseitig pro-israelischen Positionen bekannt waren. Zudem gehörte Kipping neben der hessischen Gallionsfigur einer imaginären Linken in der "S"PD und Hartz-IV-Befürworterin, Andrea Ypsilanti, und dem Pseudo-Grünen Sven Giegold zu den GründerInnen des "Thinktanks" Institut Solidarische Moderne. Dessen Aufgabe besteht ganz offensichtlich darin, für "rot-rot-grüne" Koalitionen zu werben.

Kein Wunder dürfte daher sein, daß Katja Kipping in den Mainstream-Medien in völliger Umkehrung der ansonsten konsequent geübten Praxis, alle auch nur halbwegs gesellschaftskritischen Köpfe der Linkspartei als Spinner abzukanzeln, über den grünen Klee gelobt wird.

Ein wenig seltsam erscheint es bei genauerer Betrachtung, daß der graue Gewerkschaftsfunktionär Riexinger nun als Projektionsfläche für Linke fungieren soll. Vor neun Jahren war Riexinger im Vorfeld des "rot-grünen" Hartz-IV-Gesetzes Mitorganisator einer unerwartet starken Protest-Demo mit 100.000 TeilnehmerInnen. Doch als es dann 2004 und in den darauffolgenden Jahren darum ging, einen konsequenten gewerkschaftlichen Kampf gegen den "rot-grünen" Sozialabbau zu organisieren, konnte sich Riexinger innerhalb der Gewerkschaftsbürokratie kein Gehör verschaffen. Zu keiner Zeit drang nach außen, daß Riexinger bei seinem Chef, dem pseudo-grünen Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske, auch nur ein wenig angeeckt wäre. Riexinger kann vielleicht bei jenen als "Antikapitalist" durchgehen, die zwischen der Kapitalismuskritik à la 'attac' und der Forderung nach einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel keinen Unterschied erkennen können.

Als Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der Linkspartei in Baden-Württemberg muß sich Riexinger auch an deren Ergebnissen bei Landtagswahlen messen lassen. Denn wenn Linke meinen, bei Wahlen als Partei antreten zu müssen, unterwerfen sie sich freiwillig diesem Maßstab. Die baden-württembergische Linkspartei erreichte bei der Landtagswahl am 27. März 2011 klägliche 2,8 Prozent, real: 1,9 Prozent (Siehe unseren Artikel vom 27.03.11). Bei der vorangegangenen Landtagswahl war die WASG auf 3,1 Prozent gekommen, was de facto rund 120.000 Stimmen repräsentierte.

Auch in der Auseinandersetzung um 'Stuttgart 21' brachte die Linkspartei keinen Fuß auf den Boden. Sie vermochte dem von den Pseudo-Grünen um Winfried Kretschmann im September 2010 eingefädelten falschen Spiel mit einer Schlichtung, die am Ende die 'Stuttgart-21'-GegnerInnen entscheidend schwächte, nichts entgegenzusetzen. Immerhin soll sich Riexinger mal für die Idee transnationaler Branchengewerkschaften eingesetzt haben. Und in der Frage von Koalitionen mit "Rot-Grün" orientiert sich Riexinger - bislang - an den klaren Bedingungen, die Oskar Lafontaine formulierte.

Wie die Gewichte in der Linkspartei verteilt sind, ist zudem daran zu erkennen, wie weitere gewichtige Positionen im Bundesvorstand der Partei besetzt wurden: So wurde das Amt des Bundesgeschäftsführers mit Matthias Höhn, einem ausgewiesenen Vertreter der "Reformer", besetzt. Die Linken hatten Höhn nicht einmal einen Gegenkandidaten entgegenzusetzen. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang, daß sich Lafontaine geweigert hatte, mit einem Bundesgeschäftsführer Bartsch zusammenzuarbeiten, da dieses Amt dazu geeignet ist, die Arbeit eines oder einer Parteivorsitzenden zu unterminieren. Auch das Amt des Bundesschatzmeisters ging an einen "Reformer": Raju Sharma. Die Linken in der Linkspartei trösteten sich dafür mit dem Scheinerfolg, eine Mehrheit bei den Vorstands-BeisitzerInnen zu erzielen. Ulrich Maurer, der für den gescheiterten Aufbau der Linkspartei in den "alten Bundesländern" steht, zog nicht wieder in den Bundesvorstand ein. Über die ungelöste Problematik des "Westaufbaus" wurde so der Mantel des Schweigens gebreitet.

Unerwartet ungeschminkt machte der scheidende Bundesvorsitzende Klaus Ernst den Ernst der Lage deutlich: "Wir haben Umfragewerte von 6 Prozent auf Bundesebene. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben wir den Einzug in den Landtag deutlich verpasst. In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sind wir krachend herausgeflogen. Auch im Osten bröckeln unsere Umfragewerte. Insgesamt haben wir seit 2009 9.000 Mitglieder verloren. Ganze Kreisverbände im Westen haben sich aufgelöst. Wir haben Zerfallserscheinungen in unserer Partei."

Die Hoffnung, daß die Linkspartei die Lebensbedingungen der Benachteiligten und der immer weiter abgehängten unteren Zweidrittel der deutschen Gesellschaft verbessern könnte, bleibt illusorisch. Denn daß dies in Koalitionen mit den neoliberalen Blockflöten-Parteien der "schwarz-rot-gelb-grünen" Kartells nicht möglich ist, liegt auf der Hand - und die einzig reale Alternative, daß nämlich die Linkspartei allein über 50 Prozent erreicht, erscheint selbst den Mutigsten als wenig wahrscheinlich.

Kommentar:
An der Fixierung der Linkspartei auf den Parlamentsbetrieb und an ihrer Ferne zu sozialen Bewegungen, zur Umwelt- oder auch zur Anti-Atom-Bewegung wird sich nach diesem Parteitag kaum etwas ändern. Und so bleibt es auch unerheblich, ob sich diese Partei spaltet, über oder unter 5 Prozent abschneidet oder weiterhin der Zombie-Existenz der Pseudo-Grünen nacheifert.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Linkspartei: Lob der Diktatur
      Geburtstagsgrüße an Fidel Castro (21.08.11)

      Kurswechsel der Linkspartei
      beim Thema Atom-Ausstieg (14.05.11)

      Landtagswahl
      Recycling in Baden-Württemberg (27.03.11)

      Linkspartei Brandenburg weiter auf Rechtskurs
      Wirtschaftsminister Christoffers setzt sich mit CCS durch (7.03.11)

      Wikileaks-Enthüllung:
      Gysi schleimt bei US-Regierung
      Linkspartei wird "politikfähig" (20.12.10)

      Stuttgart 21
      Schlichtung oder schlicht Volksverdummung? (1.12.10)

      Linkspartei erwirkt Urteil:
      Schwarz-Gelb in Schleswig-Holstein verfassungswidrig (31.08.10)

      Nordrhein-Westfalen
      Berechenbare Linkspartei (11.07.10)

      Linkspartei nominiert Luc Jochimsen
      Gaucks Chancen schwinden (8.06.10)

      Lafontaine kontert Gabriel:
      "...aus Niederlagen nichts gelernt" (28.03.10)

      Eigentum und Herrschaft
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      Offizielle Parteispenden über 20 Millionen Euro
      Rund 14 Millionen Euro für "C"-Parteien (16.02.10)

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      krankheitsbedingt in die zweite Reihe zurück (24.01.10)

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      (19.10.09)

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      als Voraussetzungen für "Politikfähigkeit" (6.10.09)

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