3.10.2013

Festung Europa
Über 60* Flüchtlinge ermordet

Flüchtlingsboot im Mittelmeer
Vor den verschlossenen Toren der Festung Europa kamen erneut über 60* Flüchtlinge ums Leben. Ein Boot mit rund 500 Menschen war vor der Mittelmeerinsel Lampedusa untergegangen. Sie sind Opfer der Terror-Behörde Frontex und der Ausplünderung Afrikas durch die Industriestaaten.

Zwei Fischerboote, die sich in der Nähe der Unglücksstelle befanden, konnten offenbar nicht mehr rechtzeitig Hilfe herbeirufen. Von rund 500 Flüchtlingen aus Afrika, die sich auf einem havarierten Boot befanden, ertranken über 60*. Darunter befanden sich auch Frauen und Kinder.

180 Menschen konnten von der italienischen Küstenwache gerettet werden. Eine große Anzahl von Menschen befand sich heute Vormittag noch im Wasser, berichten italienische Medien. Am Mittwochabend waren weitere 117 Migranten an Bord eines Bootes gerettet und in den Hafen der sizilianischen Stadt Syrakus gebracht worden.

Es handelt sich um das zweite schwere Unglück innerhalb von nur einer Woche, das sich vor der Küste Italiens ereignete. Am Montag starben 13 Flüchtlinge, als ihr Boot vor Sizilien auf Grund gelaufen war.

Mit rund 22.000 ist Zahl der lebend nach Italien gelangten Flüchtlinge bereits jetzt drei Mal so hoch wie im gesamten Jahr 2012. Dies zeigt, daß der Druck durch Armut und Hunger in Afrika stetig steigt. Zur Zahl der Schiffbrüchigen, die ums Leben kommen, gibt es nur Schätzungen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zählte mehr als 1.500 Flüchtlinge, die im Jahr 2011 im Mittelmeer ertranken oder auf der Passage verdursteten - so viel wie in keinem anderen Jahr zuvor.

Auch die NATO trägt eine Mitschuld am Massensterben im Mittelmeer. Obwohl Schiffe der Marine hohe Präsenz im Mittelmeer zeigen und ein Überwachungssystem besteht, das Flüchtlingsboote leicht orten kann, haben die Verantwortlichen offenbar kein Interesse daran, Menschenleben zu retten. Nach Vorkommnissen wie dem vom März 2012, bei dem Kriegsschiffe und Hubschrauber der NATO während einer 15-tägigen Irrfahrt beobachteten, besteht Grund zu der Annahme: Mit dem Tod von Flüchtlingen soll ein abschreckendes Beispiel statuiert werden, um potentielle Flüchtlinge in Afrika die Aussichtslosigkeit ihrer Pläne vor Augen zu halten (siehe unseren Artikel v. 5.04.12).

Regelmäßig führt auch die europäische Grenzschutzbehörde Frontex Operationen durch, mit der angeblich Flüchtlingsboote vor den Küsten Italiens und Maltas aufgespürt werden sollen. Außerdem überwachen Polizei-Boote und Flugzeuge der italienischen Grenzschutzpolizei routinemäßig die Region zwischen Lampedusa und der nordafrikanischen Küste.

Wenn nun versucht wird, die Schuld für die Toten skrupellosen Schleusern anzulasten, muß an die Situation an der innerdeutschen Grenze vor dem 9. November 1989 erinnert werden: Die Hauptschuld am Tod an der innerdeutschen Mauer trugen jene, die für das unmenschliche System im Ostblock und die Abschottung verantwortlich waren.

Und es muß daran erinnert werden, was Jean Ziegler, damals Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission für das Recht auf Nahrung, bereits im Jahr 2005 schrieb:

"Warum fliehen die Menschen? Warum nehmen Bauern aus dem über 3.000 Kilometer entfernten Kongo-Becken, Sahel-Hirten aus Niger, Baumwollpflanzer aus Nordbenin die oft monatelange, kostspielige und lebensgefährliche Reise zum Mittelmeer auf sich? Warum kratzen hunderte bitterarme Dorfgemeinschaften in Mali ihre letzten Francs CVA zusammen, um einen, zwei, drei ihrer Jungen in Richtung Norden zu schicken? Weil das Eldorado Europa die letzte Hoffnung von Millionen und Abermillionen verzweifelter Menschen darstellt.

Auf unserem Planeten sterben jeden Tag 100.000 Menschen am Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen. Letztes Jahr verhungerte alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren. Alle vier Minuten verlor jemand das Augenlicht, weil es ihm an Vitamin A mangelte. 856 Millionen Menschen waren permanent schwerstens unterernährt. Und die Opferzahlen steigen seit 2000. Derselbe World Food Report der Welternährungsorganisation (FAO), der die Opfer registriert, zeigt auch auf, dass die Welt-Landwirtschaft in ihrem heutigen Entwicklungsstadium ohne Problem zwölf Milliarden - also das Doppelte der gegenwärtigen Weltbevölkerung - ernähren könnte (das heißt: 2.700 Kalorien pro Individuum pro Tag).

Es gibt keine Fatalität. Ein Kind, das am Hunger stirbt, wird ermordet. Die Weltordnung des globalisierten Kapitalismus ist nicht nur mörderisch. Sie ist auch absurd. Sie tötet, aber sie tötet ohne Notwendigkeit." (siehe unsere Dokumentation).

* Ergänzung v. 7.10.13:
Die Zahl 60 stammte aus italienischen Mitteilungen um die Mittagszeit des 3. Oktober. Laut offiziellen Mitteilungen liegt die Zahl der Todesopfer bei dieser einen Katastrophe mittlerweile bei 211.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Festung Europa
      Tödliche Mauer am Bosporus (11.12.12)

      Hunger und Kapitalismus
      "Der Süden finanziert den Norden" (17.10.12)

      Festung Europa
      Die NATO und der Tod von 63 Bootsflüchtlingen (5.04.12)

      Festung Europa
      Bollwerk am Bosporus geplant (1.01.11)

      Festung Europa
      Grenzregime am Bosporus verstärkt (2.11.10)

      Festung Europa
      Libyen als EU-Grenzposten (29.06.09)

      Berlusconi: Besser in Afrika verhungern
      als in Italien interniert (20.05.09)

      Verfahren gegen Lebensretter in Italien
      Stefan Schmidt und Elias Bierdel von 'Cap Anamur' vor Gericht
      (17.05.09)

      Italien schiebt afrikanische MigrantInnen ab
      Proteste zum Teil scheinheilig (9.05.09)

      Festung Europa: Mehr als 300 Flüchtlinge
      im Mittelmeer ertrunken (31.03.09)

      Ausbeutung durch die Industrie-Nationen
      Eine Nahaufnahme aus Burkina Faso (11.03.09)

      Weitere Proteste auf Lampedusa
      Italiens Asylpolitik unverändert unmenschlich (18.02.09)

      Weiter Demonstrationen auf Lampedusa
      gegen europäische Abschottungs-Politik (28.01.09)

      Protest gegen Festung Europa
      MigrantInnen auf Lampedusa demonstrieren
      gegen Lager-Bedingungen (24.01.09)

      Positive Wende in Australien:
      Ende der menschenverachtenden Asylpolitik (28.07.08)

      Festung Europa
      Menschenverachtende Politik gegen Flüchtlinge (20.06.08)

      Flüchtlingselend und Artenschwund in Nordafrika
      Führt Tierschutz zu mehr Menschenschutz? (22.01.08)

      Frontex und die toten Flüchtlinge
      Immer mehr Leichen im Mittelmeer (25.12.07)

      Europa, schäme dich!
      Flüchtlingselend im Mittelmeer (28.05.07)

      Eine mörderische Weltordnung
      Ceuta und Melilla (21.10.05)

      ai: "deutsche Asylpolitik verantwortungslos" (25.05.05)

      Festung Europa fordert Tote
      Mehr Leichen als Krabben in den Netzen (26.03.05)

      Tag des Flüchtlings 2004:
      Europa macht dicht! (30.09.04)

      Menschenverachtender Umgang
      mit Flüchtlingen beim FdAaF-Bundesamt (3.06.04)

      Zuwanderungsgesetz
      oder Abschottungsgesetz? (27.05.04)

      Nach wie vor werden in Deutschland
      Kinderrechte mit Füßen getreten (16.01.04)

      60 Tote infolge europäischer Unchristlichkeit (22.12.03)

      Sind Sie darauf stolz, Herr Schily? (13.01.03)

      Europa hat eine Verantwortung (11.10.00)

 

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