Die EU hatte im vergangenen November Deutschland wegen der steigenden Nitrat-Belastung des Grundwassers und jahrelangem Nichtstun der Bundesregierungen vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Jetzt beschlossen Bundesregierung und Bundestag eine Novelle des Dünge-Gesetzes und der Dünge-Verordnung, um der Klage zu entgehen. Doch die darin festgelegten Maßnahmen sind nach Ansicht von Umwelt-Verbänden völlig unzureichend.
Offenbar geht es der "schwarz-roten" Bundesregierung - und dabei neben Bundeskanzlerin Angela Merkel den "verantwortlichen" FachministerInnen Barbara Hendricks und Christian Schmidt - vor allem darum, Zeit zu gewinnen, die vor dem Europäischen Gerichtshof unausweichlich drohende Strafzahlung in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro und den damit verbundenen Image-Schaden zu vermeiden und sich dennoch weiterhin nicht mit den mächtigen ProfiteurInnen der industriellen Landwirtschaft anzulegen. Hendricks hatte in den vergangenen Wochen zu spüren bekommen, daß selbst eine lächerliche und folgenlose Anzeigen-Kampagne sehr ungnädig aufgenommen wird.
Aktuelle Daten zeigen, daß bundesweit an 28 Prozent der landwirtschaftlich beeinflußten Grundwasser-Meß-Stellen der geltende Grenzwert für Nitrat im Trinkwasser überschritten wird. Und hierbei handelt es sich um den willkürlich festgesetzten Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter - Konzentrationen von über 20 Milligramm NO₃ pro Liter müssen jedoch nach heutigem wissenschaftlichem Kenntnisstand als für Säuglinge und Schwangere schädlich eingestuft werden. Der Grenzwert für NO₃ in Trinkwasser liegt laut der Schweizer Gewässerschutzverordnung bei 25 Milligramm pro Liter.
Die Anklageschrift der EU belegt mit ihrem Dokumenten-Anhang von rund 1.500 Seiten, daß in vielen Regionen Deutschlands die Belastung des Grundwassers mit Nitrat steigt. Auch der Hauptverursacher wird hier - wenn auch undifferenziert - benannt: "Die Landwirtschaft". Und es ist nachzulesen, daß die EU-Nitrat-Richtlinie, gegen die Deutschland unzweideutig verstößt, seit 1991 existiert. Das Nitrat-Problem wird von den deutschen Bundesregierungen - gleichgültig ob "schwarz-gelb", "rot-grün" oder "schwarz-rot" - seit Jahren ignoriert. Dennoch stehen bis heute in der Öffentlichkeit Dank der Ignoranz der Mainstream-Medien Merkel, Hendricks und Schmidt ohne Flecken auf ihren grünen Westen da.
In Deutschland wird seit Jahrzehnten bedenkenlos zugelassen, daß erheblich mehr Dünger auf die Äcker gebracht wird, als die Pflanzen überhaupt aufnehmen könnten. Die industrielle Landwirtschaft kann ohne Sorge vor Verleumdungsklagen als Brunnenvergifterin bezeichnet werden. Die in Deutschland vorgeschriebenen gesetzlichen Dünge-Pausen von maximal drei Monaten sind viel zu kurz - auch die EU-Klageschrift bestätigt dies. Stand der Wissenschaft sind fünf bis sieben Monate. Offen bleibt bei dieser Argumentation mit eigeschränkten Blickfeld allerdings die Frage: Wohin dann mit der Gülle aus der industriellen Landwirtschaft?
Nachweislich verursacht die industrielle Landwirtschaft durch Überdüngung jährliche Kosten von rund 25 Milliarden Euro für die Sicherung sauberen Trinkwassers. Diese externen Kosten der industriellen Landwirtschaft tragen laut der Kritik der Umweltverbände derzeit nicht die VerursacherInnen, sondern die VerbraucherInnen. Würden diese Kosten und die Subventionen, die aus Steuergeldern beglichen werden, auf die industriell erzeugten Lebensmittel aufgeschlagen, wären diese erheblich teurer als Bio-Lebensmittel. Viele fragen jammernd, warum Bio-Lebensmittel "so teuer" seien und erkennen nicht, daß dies politisch so gewollt ist. Obwohl der Fleisch-Konsum in Deutschland zurückgeht, steuert die Parteien-Politik weiter in die genau entgegengesetzte Richtung. - vorneweg das für die Konzentration von Massentierhaltung berüchtigte Niedersachsen - unter einer "rot-grünen" Landesregierung.
Statt einer Agrar-Wende sieht die Novelle des Dünge-Gesetzes lediglich administrative Maßnahmen vor. So sollen ab 2018 tierhaltende Betriebe mit mehr als 2,5 Großvieheinheiten (GVE) je Hektar und mehr als 30 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche sowie Betriebe mit mehr als 50 GVE eine Stoffstrombilanz erstellen. Bei ihr wird der Stickstoffeintrag in den Betrieb, der beispielsweise durch Zukauf von Düngern erfolgt, dem Austrag an Stickstoff gegenübergestellt, der sich durch den Verkauf erzeugter Produkte ergibt. Es geht darum, die im Saldo anfallenden Nährstoffflüsse zu erfassen. Ab 2023 gilt dies für alle Betriebe mit mehr als 20 Hektar Nutzfläche oder mehr als 50 GVE. Eine solche Einheit entspricht dem Gewicht eines 500 Kilo schweren Rindes, bei Legehennen bilden 320 Tiere eine GVE. Beim Grünland gilt lediglich eine Dünge-Pause von drei Monaten - vom 1. November bis 31. Januar.
Dennoch enthält das Gesetz auch geringfügige Verbesserungen: So wird etwa eine zusätzliche Beschränkung in nitratsensiblen Gebieten festgeschrieben, die Obergrenze bei Stickstoff-Bilanz-Überschüsse wird geringfügig reduziert und die Kontrollmöglichkeiten der Behörden ein klein wenig ausgeweitet.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der WWF, der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) und der Naturschutzbund Deutschland (NABU) bezweifeln, daß die vorgesehenen Verbesserungen ausreichen werden, um die Vorgaben der EU-Nitratrichtlinie einzuhalten - oder gar, um Umwelt und Gewässer wirksam zu schützen. Insbesondere weisen sie darauf hin, daß für besonders belastete Regionen keine Stickstoff-Obergrenzen von maximal 130 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr beschlossen wurde. Darüber hinaus sei es wichtig, daß für Betriebe, die mit Festmist arbeiten oder Tiere auf der Weide halten, günstigere Rahmenbedingungen geschaffen und bürokratische Hürden reduziert werden.
Leider ist auch in der Stellungnahme dieser Verbände kein Wort über die Agrar-Wende zu finden. Dabei ist seit vielen Jahren offensichtlich, daß Umweltzerstörung und immer schneller fortschreitender Artenschwund nicht im Rahmen der industriellen Landwirtschaft durch zusätzliche Auflagen gestoppt werden kann und daß nur eine beschleunigte Umstellung auf Bio-Landwirtschaft retten kann, was noch zu retten ist.
In anderen EU-Staaten kommt die Agrar-Wende immerhin langsam voran. In Deutschland jedoch stieg der Bio-Anteil an der landwirtschaftlich genutzten Fläche 2015 lediglich um 0,2 Prozent auf 6,5 Prozent. 2016 stieg dieser Flächen-Anteil in Deutschland auf 7,1 Prozent. Die Schweiz hatte in 2015 bereits 12,2 Prozent, Schweden 16,3 Prozent und Österreich 19,5 Prozent erreicht (Siehe hierzu unseren Artikel v. 14.10.16).
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Nitrat: EU verklagt BRD
Zu viel Gülle im Grundwasser (7.11.16)
Nitrat im Grundwasser
EU verklagt Deutschland (29.04.16)
Deutschlands Meeresschutz am Ende?
Umwelt-Verbände kritisieren Bundesregierung scharf
(22.02.16)
Radioaktivität im Wasser
unter dem AKW Indian Point (6.02.16)
Giftiges Trinkwasser in US-Stadt Flint
seit März 2014 (18.01.16)
Hendricks schützt Plastiktüten
nach Vorbild des Klima-Gipfels von Paris (21.12.15)
Thunfisch und Quecksilber
EU-Kommission will Grenzwert lockern (16.09.15)
Industrielle Landwirtschaft gefährdet Grundwasser
Strenge Düngeverordnung gefordert (24.10.14)
Industrielle Landwirtschaft tötet
Fischsterben in der Elbe (24.07.14)
Todeszonen der Ostsee weiten sich aus
Bundesregierung untätig (17.06.14)
Europas Flüsse stärker mit Chemie belastet
als bislang angenommen (16.06.14)
Wald-AIDS 2013
Zustand schlechter - nicht besser (10.03.14)
Nitrat-Belastung im deutschen Grundwasser
verschlechtert sich dramatisch (19.10.13)
Agrar-Subventionen
BUND fordert Neuausrichtung (28.08.13)
VGH-Urteil: Natürliches Mineralwasser
darf Pestizide enthalten (2.08.13)
Phosphat-Dünger
Industrielle Landwirtschaft ohne Zukunft (7.05.13)
Dem deutschen Wald geht es schlechter
als in den 1980er-Jahren (4.02.13)
Pestizide vernichten Amphibien
Umweltbundesamt fordert Beschränkungen (1.02.13)
Speer-Azurjungfer ist Libelle des Jahres 2013
Vom Aussterben bedroht (5.01.13)
Umweltverbände: Aigners Pestizid-Aktionsplan
ist "mangelhaft" (25.10.12)
Flächenfraß weiter lebensgefährlich
BUND fordert Biotopverbund (17.07.12)
Greenpeace deckt auf
Pestizide in Obst und Gemüse (26.03.12)
Wald-AIDS greift um sich
Zustand der Buchen auf historischem Tiefpunkt (2.02.12)
Gartenrotschwanz bald ausgerottet
Vogel des Jahres 2011 (9.10.11)
Merkel degradiert Wald zum Rohstofflieferanten
Wald-AIDS in den Medien nahezu vergessen (21.09.11)
Giftige Grünalgen an der bretonischen Küste
Sarkozy: "Industrielle Landwirtschaft unschuldig" (29.07.11)
BUND fordert Aufgabe der Pläne
zum Elbe-Ausbau und Elbe-Saale-Kanal (9.02.11)
Uran im Trinkwasser
foodwatch kritisiert neuen Grenzwert (29.11.10)
Appell gegen Massentierhaltung
Für eine Agrar-Wende (23.11.10)
Die Ostsee stirbt
Mord per Ackerbau und Viehzucht (27.07.10)
Hormone im Klärwasser
Arzneimittelrückstände bedrohen Fische (17.04.10)
Ostsee-Pipeline gefährdet Ökosystem
WWF fordert Kompensationen (21.12.09)
Uran im Trinkwasser
'Foodwatch' kritisiert zu hohe Belastung (26.11.09)
Umweltfrevel im Nationalpark
Nothafen Darßer Ort wird ausgebaggert (6.11.09)
Deutschlands Wasserverbrauch:
160 Milliarden Kubikmeter jährlich (3.08.09)
Der Rhein wird aufgeheizt
AKW Fessenheim mit maßgeblichem Beitrag (30.06.09)
Bundesregierung unterliegt:
Liste der Agrar-Subventionen endlich öffentlich (9.06.09)
Globale Wasserkrise steht bevor
Weltwasserforum 2009 in Istanbul (15.03.09)
Hormone im Mineralwasser
Plastikflaschen in der Kritik (12.03.09)
Die Ostsee stirbt
Immer weniger Schweinswale (28.01.09)
Wald-AIDS auch in den USA
Sterberate in 20 Jahren verdoppelt (24.01.09)
Steigende Pestizidbelastung
bei konventionellem Obst und Gemüse
Politik fördert weiterhin einseitig agro-industrielle Landwirtschaft
(24.07.08)
Umweltverbrechen Mais-Anbau
Nitrat und Pestizide verseuchen das Grundwasser (18.05.08)
"Umwelt"-Minister Gabriel macht den Coca-Cola-Vertreter
in der Schule
Was hat Coca-Cola wirklich mit Wasser zu tun? (24.04.08)
Die Ostsee stirbt
Gabriel desinteressiert (15.11.07)
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Deutschland schaut zu (28.09.07)
Wasser,
globale Umweltzerstörung und Klimakatastrophe (14.05.07)
Schmetterlinge in Deutschland
80 Prozent vom Aussterben bedroht (13.04.05)
Explosivstoff Wasser
Nahost braucht eine gerechtere Verteilung... (1.02.04)
Agrar-Wende
Nichts als heiße Luft (24.01.04)
Wasser und Weltbank (13.07.03)
Wer gräbt den Armen
das Wasser ab? (30.03.03)
Wucher mit Wasser
Die Folgen der Privatisierung der Wasserversorgung (22.03.03)