23.04.2020

Wald-AIDS ist jetzt so schlimm
wie in den 1980er-Jahren

Schwarzwald - Foto: Klaus Schramm, Creative-Commons-Lizenz Nicht-Kommerziell 3.0
Berlin (LiZ). Die Bundesregierung hat den aktuellen "Waldzustandsbericht" veröffentlicht. Die nackten Zahlen zeigen, daß die deutschen Wälder jetzt in einem schlechteren Zustand sind als in den 1980er-Jahren. Seit Beginn der Erhebungen des Waldzustandes im Jahr 1984 war der durchschnittliche Kronenzustand unserer Waldbäume noch nie so schlecht wie 2019. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) schlägt Alarm.

"Den Bäumen in den Wäldern Deutschlands geht es so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht," warnt BUND-Vorsitzender Olaf Bandt. Das läge nicht allein an der Erderhitzung. "Der Wald ist durch Dürre, intensive Forstwirtschaft und Stickstoffeinträge im Dauerstress. Gerade bei den Stickoxiden ist das seit vielen Jahren bekannt." Der BUND fordert daher von der Bundesregierung, jetzt endlich effektive Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen und gleichzeitig die Schadstoffemissionen aus Verkehr, Industrie und Landwirtschaft wirksam zu reduzieren. Nur so habe der Wald eine Chance, "endlich wieder aufatmen zu können".

Dringend notwendig sei zudem, naturferne anfällige Nadelforste hin zu vielfältigen Laubwäldern zu verändern. Für einen solchen Waldumbau seien waldfreundliche Regelungen im neuen Bundesjagdgesetz überfällig, um jungen Laubbäumen das Aufwachsen zu ermöglichen. Andernfalls würden auch Steuergelder für teure Baumpflanzungen verschwendet, da die meisten Setzlinge sofort von Rehen wieder aufgefressen würden. Der BUND vermeidet hier eine klare Aussage - Tatsache ist jedoch, daß der Rotwildbestand in deutschen Wäldern um ein Vielfaches zu hoch ist, als daß sich die Wälder noch auf natürliche Weise verjüngen könnten.

Mit Blick auf die Erderhitzung sagte Olaf Bandt: "Die Klimakrise setzt dem Patienten Wald weiter zu. Schon jetzt im Frühjahr zeichnen sich eine erneute Dürreperiode und damit absterbende Waldbestände bis hin zu drohenden Waldbränden ab." Umso wichtiger sei es, alles zu tun, um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und den Wald nicht zusätzlich zu stressen. "Wir brauchen einen effektiven Waldschutz durch effektiven Klimaschutz. Wir brauchen Maßnahmen zur absoluten Energieeinsparung, einen schnellen Ausstieg aus fossilen Energien, allen voran der Kohleverstromung und eine schnellstmögliche Umstellung des Energiesystems auf 100 Prozent erneuerbare Energien," forderte der BUND-Vorsitzende. "Um den Eintrag von Stickoxiden in die Waldböden zu reduzieren, müssen nun schnell fossile Feuerungen in Energiewirtschaft, Industrie und Haushalten dauerhaft reduziert werden." So hätte die Bundesregierung durch die Abschaltung von Braunkohlekraftwerken, wie sie die Kohlekommission gefordert hat, einen ersten wichtigen Beitrag leisten können. Diese Maßnahmen sind nicht nur Klimaschutz, sondern entlasten auch die Wälder von den viel zu hohen Stickstofffrachten aus der Energiewirtschaft.

Um die Stickoxide aus dem Verkehr wirksam zu reduzieren, müssen aus Sicht des BUND insbesondere die Stickstoffdioxid Emissionen der Diesel-PKW schnell verringert werden, von denen 67 Prozent der Stickoxide des Verkehrs emittiert werden. Grundsätzlich ist ein genereller Umbau des Mobilitätssektors notwendig. So müssen der Autoverkehr verringert und die bestehenden Regeln zur Abgasreinigung eingehalten und zukünftig verschärft werden. "Der aktuelle Einbruch beim Ölpreis gibt der Bundesregierung die einmalige Möglichkeit, steuerpolitische Fehler in der Verkehrspolitik der vergangenen Jahre zu beheben," so der BUND-Vorsitzende. "Klimaschädliche Subventionen für die Energiesteuervergünstigung für Dieselkraftstoff und die Energiesteuerbefreiung von Kerosin – mit zusammen jährlich über 14 Milliarden Euro – müssen abgeschafft werden."

Darüber hinaus hält es der BUND für unvermeidbar, daß es angesichts des schlechten Zustandes des Waldes auch zu einer Agrarwende, mit einem Umbau der Nutztierhaltung und einer Halbierung der Nutztierbestände bis 2050 – vor allem im Schweine- und Geflügelbereich – kommen muß. Bandt: "Die Politik ist aufgerufen, sich intensiv mit den Empfehlungen des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung auseinander zu setzen. Wir brauchen schnellstmöglich Verabredungen, wie der Umbau zu einer tiergerechten, umwelt- und klimafreundlichen Tierhaltung gestaltet und finanziert werden kann." Zudem muß ergänzend zur kürzlich geänderten Düngeverordnung eine Stickstoffüberschuß-Abgabe eingeführt werden, um den Bäuerinnen und Bauern Anreize zu geben, den Eintrag von Stickstoff aus der Landwirtschaft weiter reduzieren.

Neben Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Reduzierung von Stickstoffeinträgen ist die Bundesregierung auch im Bereich Forstwirtschaft aufgerufen, zu grundlegenden Änderungen zu kommen. "Die Wälder müssen endlich schonender bewirtschaftet werden," erklärt der BUND-Vorsitzende. "Hierzu gehört eine ökologisch verträgliche Bewirtschaftung, damit mehr Feuchtigkeit im Wald verbleibt und dieser sich selbst stabilisieren kann." Konkret bedeute dies: weniger drastische Eingriffe bei der Holzernte, ein Stop der Entwässerung von Wäldern und das Vermeiden der Verdichtung von Waldböden durch Befahrung. Um dies durchzusetzen, müsse endlich eine gute forstliche Praxis definiert und in allen Waldgesetzen verbindlich verankert werden - so die BUND-Forderung.

Auch der Anteil der Naturwälder ohne forstliche Eingriffe ist deutlich zu erhöhen. Trotz vollmundiger Versprechen deutscher Regierungen liegt der Anteil der Naturwälder immer noch bei jämmerlichen drei Prozent. Im Jahr 2007 hatte die damalige "schwarz-rote" Bundesregierung großartig in einer "nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt" angekündigt, Naturwald solle bis 2020 fünf Prozent des deutschen Waldbestands ausmachen (Siehe unseren Artikel v. 4.04.19).

Gerade die in Deutschland großflächig gepflanzten Fichten- und Kiefernforste leiden stark unter der Dürre und sind besonders brandgefährdet. Diese naturfernen Nadelforste sind zudem anfällig für Stürme sowie Massenvermehrungen des Borkenkäfers und anderer Insekten, die bei einem aus den Fugen geratenen ökologischen Gleichgewicht ganze Wälder vernichten können. Daher ist neben der Wiederbewaldung abgestorbener Waldflächen ein zügiger Waldumbau zwingend erforderlich, weg von den künstlichen Nadelforsten, hin zu stabileren und naturnahen Laubmischwäldern. Der BUND begrüßt in diesem Zusammenhang, daß die Bundesregierung hierfür Gelder zur Verfügung gestellt hat, um Kommunen und private Waldbesitzer zu unterstützen.

Bandt hofft weiterhin, Agrar-Ministerin Julia Klöckner werde "Wort halten und bei der Novelle des Bundesjagdgesetzes für eine waldfreundliche Gestaltung der jagdrechtlichen Regelungen Sorge tragen." Weiter sagte Bandt: "Der Wald braucht endlich einen Paradigmenwechsel beim Wildtiermanagement. Die Jagd muß so geregelt werden, daß die jungen Laubbäume wachsen können und nicht gleich wieder von Rehen gefressen zu werden, damit der Waldumbau gelingen kann. Nur so hat die natürliche Verjüngung von Laubbäumen eine Chance. Und nur dann werden die Steuergelder für teure Baumpflanzungen kein Fall für den Bundesrechnungshof."


  • Erläuterung zu Schadstoffen: Unter den Luftschadstoffen, die dem Wald zusetzen, sind die Emissionen von Stickstoffverbindungen aus Verkehr und Industrie (Kohlekraftwerke und Industriefeuerungen) sowie der Landwirtschaft (Ammoniak durch Ausbringen von Gülle) die bei weitem stärksten Schadstoffgruppen. Beide Stickstoffverbindungen versauern die Waldböden, behindern das Wachstum der Feinwurzeln und schaffen Nährstoffungleichgewichte, die die Wälder dauerhaft schwächen. Hohe Stickstoffeinträge gehören zu den bedeutendsten vom Menschen verursachten Belastungsfaktoren für den Wald. Werden die Feinwurzeln der Bäume in Folge der hohen Stickstoffeinträge über Jahrzehnte in ihrem Wachstum gehemmt, können die Bäume viel schlechter Wasser aufnehmen und geraten leichter in Trockenstress. Sie verdursten in Dürreperioden, denen sie sonst Stand gehalten hätten. Dadurch kommt es inzwischen selbst in weniger anfälligen Laubwäldern wie Buchenmischwäldern zu Schäden, die so auf unbelasteten Waldböden nicht zu verzeichnen wären. Die Folge sind ausgedünnte Baumkronen und damit eine sich verstärkende Anfälligkeit für Hitzestress.

  • Erläuterung zum Bundesjagdgesetz: Bei der Novelle des Bundesjagdgesetzes fordert der BUND konkret, die Ausgestaltung der Jagd verbindlich an den Erfolg des Waldumbaus und der Wiederbewaldung mit Laubbäumen zu knüpfen. So soll das neue Jagdgesetz sicherstellen, daß Wildtiermanagement und Jagd so gestaltet werden, daß der Wildbestand natürliche Verjüngung und Wiederbewaldung durch Laubbäume und Tanne ohne Zaun oder andere Schutzmaßnahmen zuläßt. Ein ökologisch und klimatisch stabiler Laubmischwald muß dabei als Hegeziel aufgenommen werden (mit Ausnahme der wenigen Standorte in Gebirgen, auf denen bisher von Natur aus ausschließlich Nadelwälder vorkommen). Das neue Jagdgesetz solle zudem die natürliche Wanderung der Baumarten zu neuen klimatisch passenden Standorten unterstützen. Verpflichtende, periodische Vegetationsgutachten sollen revierweise Auskunft über die Zukunftsfähigkeit der nächsten Waldgeneration geben und als objektive Grundlage bei der Festsetzung des Abschusses von Wild herangezogen werden. Das Ergebnis der Gutachten sollen Ampelkarten sein, die der Öffentlichkeit online zugänglich sein müssen.

  • Erläuterung zur Waldzustandserhebung: Der aktuelle Waldzustandsbericht zeigt, wie sehr die Wälder in Deutschland unter dem Trockenstress, der Hitze der letzten Jahre und somit unter dem Klimawandel gelitten haben. Hinzu kommen die hohen Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft und dem Verkehr, die den Wald über Jahrzehnte hinweg geschwächt haben. Seit Beginn der Erhebungen des Waldzustandes im Jahr 1984 war der durchschnittliche Kronenzustand unserer Waldbäume noch nie so schlecht wie 2019. Vier von fünf Bäumen (78 Prozent) sind bereits geschädigt, bei mehr als einem Drittel (36 Prozent) sind die Kronen sogar deutlich aufgelichtet. Die Zahl abgestorbener Bäume hat sich im Vergleich zu den Vorjahren verdoppelt.

 

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Der Amazonas-Urwald brennt
      - eine globale Umwelt-Katastrophe (22.08.19)

      Neues Symptom bei Wald-AIDS:
      Wipfel-Bruch (6.06.19)

      3 Prozent Naturwald in Deutschland
      BUND: "Armutszeugnis" (4.04.19)

      50.000 Menschen bei Demo am Hambacher Forst
      Der Beitrag der Pseudo-Grünen (6.10.18)

      Waldzerstörung in Polen gestoppt
      EUGH erläßt Verfügung (21.11.17)

      70 Fußballfelder Urwald pro Tag
      Die Umwelt-Katastrophe in Europa (14.10.17)

      Wald-AIDS in Ba-Wü
      Weiter zwischen Leben und Tod (10.12.15)

      Wald-AIDS 2014
      Zustand zwischen Leben und Tod (11.02.15)

      Wald-AIDS in Baden-Württemberg
      Buchen besonders stark geschädigt (4.12.14)

      Buschbeller Wald bei Köln bedroht
      Unsinniger Sandabbau (21.07.14)

      Wald-AIDS 2013
      Zustand schlechter - nicht besser (10.03.14)

      Nationalpark im Schwarzwald kommt
      Kleiner Fortschritt in Baden-Württemberg (28.11.13)

      Wald zu 98 Prozent Rohstofflieferant
      Nur 2 Prozent Naturwald dienen als Alibi (15.10.13)

      Dem deutschen Wald geht es
      schlechter als in den 1980er-Jahren (4.02.13)

      Wald-AIDS greift um sich
      Zustand der Buchen auf historischem Tiefpunkt (2.02.12)

      Merkel degradiert Wald zum Rohstofflieferanten
      Wald-AIDS in den Medien nahezu vergessen (21.09.11)

      Giftige Grünalgen an der bretonischen Küste
      Sarkozy: "Industrielle Landwirtschaft unschuldig" (29.07.11)

      Keine Entwarnung bei Wald-AIDS
      Zustand kaum verändert (1.02.11)

      Wald-AIDS in Baden-Württemberg
      Schäden innerhalb der Schwankungsbreite
      Zustand der Eichen nach wie vor "alarmierend" (27.11.10)

      Appell gegen Massentierhaltung
      Für eine Agrar-Wende (23.11.10)

      Bayerischer Forstminister
      und wenig Promille (18.08.10)

      Globale Waldvernichtung:
      13 Millionen Hektar pro Jahr (26.03.10)

      Wald-AIDS weiter virulent
      Aigner veröffentlicht "Waldzustandsbericht 2009" (22.01.10)

      Wald-AIDS in Baden-Württemberg:
      Oettinger legt desaströsen "Waldzustandsbericht" vor
      Haupt-Verursacher Massentierhaltung weiter verleugnet (1.12.09)

      Baden-Württemberg: Wald liefert 37 Prozent weniger Gewinn
      Wald-AIDS, Nachwirkungen von Sturm Lothar
      und Klimawandel spürbar (21.08.09)

      Trotz Wald-AIDS:
      Deutsche Forstwirtschaft nicht nachhaltig (21.07.09)

      "Waldzustandsbericht" 2008 veröffentlicht
      Wald-AIDS verschlimmert sich schleichend (21.02.09)

      Wald-AIDS auch in den USA
      Sterberate in 20 Jahren verdoppelt (24.01.09)

      Wald-AIDS:
      Elende Zustände in Baden-Württemberg (18.11.08)

      Wald-AIDS wird beschwiegen
      Mainstream-Medien leugnen weiterin Hauptverursacher (19.03.08)

      Wald-AIDS im Jahr 2007
      und das Elend der Politik (30.01.08)

      Wald-AIDS in Baden-Württemberg
      Nur drei Jahre seit 1983 waren schlimmer... (24.11.07)

      Wald-AIDS im Jahr 2006
      Haupverursacher Landwirtschaft (25.01.07)

      Seehofer will die jährlichen
      "Waldschadensberichte" canceln (14.07.06)

      Wald-AIDS im Jahr 2005
      Der Waldzustandsbericht und die Ursachen (22.01.06)

      Der Wald hat AIDS
      "Rot-Grün" schaut zu (18.03.05)

      Wald-AIDS so schlimm wie nie zuvor (8.12.04)

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