2.09.2008

Gefahr durch
atomares Versuchslager Asse II
nicht länger geleugnet

Atom-Minister Gabriel: "Zustände in Asse sind unhaltbar"
Wird das Bergwerk geräumt?

Nachdem die Bundes-"Umwelt"-Minister Klaus Töpfer, Angela Merkel (1994-1998), Jürgen Trittin (1998-2005) und Sigmar Gabriel (ab 2005) über Jahre hin Augen und Ohren vor den skandalösen Zuständen verschlossen und Hinweise der Bürgerinitiativen konsequent mißachteten, scheint nun ein Zeitpunkt gekommen zu sein, der ein weiteres Spiel auf Zeit nicht zuläßt. Die Entscheidung steht an, das atomare Versuchslager Asse II entweder entsprechend den Wünschen der Atom-Mafia mit Magnesiumchloridlauge zu verfüllen und unzugänglich abzuriegeln oder - wie von unabhängigen WissenschaftlerInnen und Bürgerinitiativen gefordert - den radioaktiven Müll aus dem ungeeigneten Bergwerk zu evakuieren.

Am heutigen Dienstag trat Bundes-Atomminister Gabriel die Flucht nach Vorne an. Die Sicherheit des Versuchslagers, in das offiziell lediglich mittel- und schwachradioaktiver Müll hätte aufgenommen werden dürfen, stehe "ernsthaft in Gefahr", so Gabriel bei der öffentlichen Vorlage eines Untersuchungsberichts in Berlin. Pikant ist zudem, daß sich Asse II im Wahlkreis von Sigmar Gabriel befindet und dieser sich dennoch nie für die Arbeit der Bürgerinitiativen interessiert hatte - auch nicht in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident in der Nachfolge Gerhard Schröders. Heute nun bezeichnete Sigmar Gabriel Asse II als "extrem unsicher" und als die "problematischste Nuklearanlage in ganz Europa".

Offenbar will sich Gabriel zudem gegenüber der im Bundeskabinett zuständigen Forschungsministerin Annette Schavan profilieren, die nach der Züricher Flug-Affaire als angeschlagen gilt. Schavan ist neben dem pro forma als wissenschaftliches Forschungsprojekt und von der Helmholtz-Gesellschaft betriebenen Versuchslager Asse II auch für die Verteilung von jährlich dreistelligen Millionenbeträgen als "Forschungsmittel" an die in einer Marktwirtschaft nicht überlebensfähige Atom-Branche zuständig.

In den vergangenen Monaten waren immer mehr brisante Fakten über "Unregelmäßigkeiten" in Asse II publik geworden. Nach und nach nahm sich mit 'stern', spiegel' oder auch der 'Süddeutschen Zeitung' ein Teil der Mainstream-Medien des Themas an. So wurde eine breite Öffentlichkeit über die Jahre hin geleugneten Wasser-Einbrüche, die radioaktive Kontamination der Salzlauge, illegalen Abtransport von Lauge aus Asse II, die wachsende Einsturzgefahr des gesamten Stollensystems und Funde von illegal eingelagertem hochradioaktivem Müll informiert.

Sigmar Gabriel konstatierte nun bei der Veröffentlichung des neuen "Statusberichts", daß die "Sicherheit der Anlage nirgends nachgewiesen" sei. Damit stellt er sich gegen bisherige Gutachten des TÜV Nord, der bislang die Sicherheit von Asse II als zweifelsfrei attestiert hatte. In Kreisen der Anti-Atom-Bewegung gilt der TÜV nicht zuletzt wegen Gefälligkeitsgutachten für Atomkaftwerke bereits seit Jahrzehnten als von der Atom-Mafia unterwandert.

Nun wird mit dem aktuellen "Statusbericht" amtlich bestätigt, daß bereits in den späten 60er Jahren, als Asse II zu "Forschungszwecken" eingerichtet wurde, die Probleme mit einbrechendem Wasser bekannt waren. Erstmals wird offiziell eingeräumt, daß seit Jahrzehnten Wasser in das ehemalige Bergwerk strömt und sich daher radioaktiv kontaminierte Lauge sammelt. Gabriel mußte bestätigen, daß sich in dem einsturzgefährdeten ehemaligen Bergwerk in der Nähe der niedersächsischen Stadt Wolfenbüttel neben angeblich exakt 124.494 Gebinde mit schwach radioaktivem Material und 1.293 Fässer mit mittelradioaktiven Stoffen auch Plutonium und Kernbrennstoffe befinden. 50 Prozent der Abfälle sollen aus dem früheren Kernforschungszentrum Karlsruhe1 stammen. Der bisherige Betreiber von Asse II, die Helmholtz-Gesellschaft München, ist laut Gabriel ist seit längerem ohne Genehmigung und "nicht sachgemäß" mit radioaktiven Stoffen umgegangen. Zudem seien Dokumentationsstandards nicht eingehalten worden. Offenbar wisse niemand genau, was in dem "Forschungsbergwerk" eingelagert wurde.

Zahlreiche mittlerweile aufgetauchte Unterlagen belegen, daß Asse II von Beginn an nicht zu Forschungszwecken, sondern als nicht genehmigtes Endlager betrieben wurde. Offenbar konnte so zumindest bis 1978 billig Atommüll beseitigt werden. So schreibt der 'spiegel' in seiner aktuellen Ausgabe, daß das 1965 gebaute und 1967 offiziell zu Forschungszwecken in Betrieb genommene Versuchs-Atommülllager von Beginn an als Endlager gedient habe. Ein großer Teil der als Forschung deklarierten Arbeit wurde auf die Vorbereitung eines Planfeststellungsverfahrens zur Genehmigung eines Endlagers verwendet. Die Lieferlisten für Asse II lesen sich wie das Who-is-Who der deutschen Atomindustrie. Gegen Ende der Frist für Einlagerungsgenehmigungen kam es zu einem drastisch ansteigenden Atommüll-Anlieferverkehr. Selbst zwischen Weihnachten und Neujahr wurde noch tonnenweise Atommüll angekarrt, um die billige Möglichkeit zur Beseitigung radioaktiver Stoffe zu nutzen.

Aus dem heute veröffentlichten "Statusbericht" geht weiter hervor, daß einige Fässer bereits bei der Einlagerung in den 60er und 70er Jahren beschädigt wurden und mittlerweile durchgerostet sind. Der Bericht hat laut Gabriel schwerwiegende Mängel bei der Helmholtz-Gesellschaft und bei deren Aufsicht, dem niedersächsischen Landesamt für Bergbau, aufgedeckt. Auch dort war bereits seit 1967 bekannt, daß Asse II undicht ist. Die Atommüll-Fässer seien damals in feuchten Kammern eingelagert worden, wie die Befragung von Mitarbeitern ergeben habe. "Es gab nie ein sicheres Endlager Asse, sondern es wurden bewußt Informationen zu Laugenzutritten unterdrückt", sagte Gabriel. Phänomenal erscheint heute, daß dieses Wissen, in das eine Vielzahl von Personen eingeweiht war, über einen solch langen Zeitraum geheim gehalten werden konnte. Die sei ein "unglaublicher Vorgang" sagte nun auch Sigmar Gabriel auf Fragen von JournalistInnen.

Gabriel kündigte an, sich wegen der Zuständigkeit Ministerin Schavans für die Helmholtz-Gesellschaft mit seiner Kabinetts-Kollegin unterhalten zu wollen. Er deutete einen "grundlegend neuen" Umgang mit dem Versuchslager Asse II an und beabsichtigt nach internen Informationen, das ebenfalls atomenergie-freundliche Bundesamt für Stahlenschutz, das dem Bundes-"Umwelt"-Ministerium unterstellt ist, als zukünftigen Betreiber von Asse II durchzusetzen.

Ebenso zur Profilierung versuchen die Pseudo-Grünen nun den Skandal für sich zu nutzen. Die frühere pseudo-grüne Landwirtschafts- Ministerin (2001-2005) Renate Künast reichte eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig ein und hofft offenbar darauf, so das Desaster des vermeintlichen deutschen "Atom-Ausstiegs" vergessen zu machen.

Als entscheidend dürfte sich jedoch jenseits all des öffentlichen Zeter und Mordio erweisen, ob Gabriel rechtzeitig die nötigen Konsequenzen zieht und Asse II evakuieren läßt. Auch Greenpeace fordert die Rückholung des Atommülls aus Asse II. Die jetzt aufkommende Forderung, die Betreibergesellschaft zu wechseln, lenke - so Greenpeace - vom eigentlichen Problem ab: Was soll jetzt mit dem Atommüll geschehen?

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Zum KFZ Karlsruhe siehe auch unseren Artikel:

      Kosten für Karlsruher "Atomsuppe" wachsen auf 2,6 Milliarden Euro
      Vorgeschmack auf das bittere Erbe der Atomenergie (16.01.08)

Siehe auch unsere Artikel zur "Endlager"-Problematik:

      Verdacht auf hochradioaktiven Müll im Versuchslager Asse II
      "Brennstäbe in Blechdosen" (29.07.08)

      Skandal-Grube Asse II
      Eindringendes Wasser radioaktiv kontaminiert (12.06.08)

      Endlager-Pläne in Ton zerbröseln
      Konsequenzen für Benken (Schweiz) und Bure (Frankreich)
      (14.01.08)

      Drohende Umweltkatastrophe durch Atom-Lagerstätte Asse
      Gabriel räumt Gefahren ein (21.11.07)

      Die BI Schacht Konrad weitet den Kampf aus
      Zahlreiche Aktionen gegen Atommülldeponie (4.07.07)

      Niederlage im Kampf gegen Schacht Konrad
      Gericht gibt Atom-Mafia recht (3.04.07)

      Atomares Endlager
      Yucca Mountain gestoppt (22.07.04)

      ItalienerInnen erfolgreich -
      kein Endlager weltweit (2.12.03)

      Endlager-Wahnsinn (28.02.01)

      Informationen zum deutschen "Atom-Ausstieg"

      Atom-Ausstieg selber machen!

 

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