1.11.2013

Obama ahnungslos?
Wußte er weniger als Merkel?

Obama is a liar - Cartoon: Samy
Für einen Geheimdienst ist nicht das Bespitzeln peinlich - das ist der Job. Peinlich ist allein, erwischt zu werden. US-Präsident Obama spielt den Ahnungslosen. Bundeskanzlerin Merkel tut empört. Aber selbst­verständlich wußten alle über die gegenseitige Bespitzelung Bescheid.

US-Präsident Barack Obama sagte angeblich zu Bundeskanzlerin Angela Merkel, er habe bis vor kurzem nichts von der Bespitzelung durch die NSA gewußt, sonst hätte diese selbstverständlich sofort beendet.

In den vergangenen Tagen wurde tonnenweise "roter Hering" gestreut - so nennen Geheimdienst-Leute Falsch-Informationen, die sie zur Ablenkung von versehentlich bekannt Gewordenem verbreiten. Das Ziel dabei ist, Verwirrung zu stiften. So verbreitete das 'Wall Street Journal' - woher kam diese Meldung wohl? - , US-Präsident Barack Obama habe in den ersten fünf Jahren seiner Amtszeit keine Ahnung gehabt, daß sein Geheimdienst NSA die Telekommunikation von Bundeskanzlerin Angela Merkel - und selbstverständlich auch die nahezu aller Staaten - abhörte. Erst vor wenigen Wochen habe Obama - so das 'Wall Street Journal' - bei einer internen Besprechung davon erfahren, daß die NSA "35 Spitzenpolitiker in aller Welt" bespitzelt habe. Zwei Lacher in einem Satz. Und noch einer im darauffolgenden: Obama habe zu diesem Zeitpunkt mehrere Abhöraktionen einstellen lassen, darunter auch die gegen die deutsche Bundeskanzlerin.

Und selbstverständlich ist es auch Blödsinn, wenn in den Mainstream-Medien in den vergangenen Tagen zu lesen war, es gäbe einen "Club der Ausspähsicheren". Zu diesem gehörten neben den USA: Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland. Nun gehe es um die Frage, ob Deutschland in diese "Fünfer-Allianz", die sich nicht gegenseitig ausspioniere, aufgenommen werde. Bekannt ist seit langem, daß die Geheimdienste dieser Staaten punktuell gelegentlich zusammenarbeiten - jedoch auch, daß selbst der BND, der doch Vielen nur als Wurmfortsatz der CIA gilt, im Auftrag Merkels in den USA auf eigene Faust und entgegen US-Recht spionierte.

Selbstverständlich ist auch die medial zur Schau gestellte Empörung Merkels gespielt. Es wäre fahrlässig, anzunehmen, PolitikerInnen wie Obama oder Merkel wären blöd. Sie mögen zwar als Marionetten an den Fäden mächtiger Wirtschaftsinteressen agieren - doch um den Job zu machen, bedarf es einer gewissen Intelligenz.

Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt bekannte in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung 'Die Zeit' ganz offen, als Regierungs-Chefin habe Merkel davon ausgehen müssen, daß sie von Geheimdiensten abgehört wird und merkte trocken an: "Ich empfehle auch der Bundeskanzlerin Gelassenheit." Zugleich witzelte er, es sei "plausibel", sich darüber zu entrüsten. Während seiner Zeit als Bundeskanzler sei er stets davon ausgegangen, daß Telefongespräche mitgeschnitten worden seien. "Das ging so weit, daß meine Gesprächspartner zunächst die Leute begrüßten, die irgendwo mithörten, und erst dann zum Thema kamen," erinnert sich Schmidt.

Und auch Schmidts Nachfolger als "oberster Angestellter" Deutschlands (O-Ton Schmidt), Helmut Kohl, wußte selbstverständlich Bescheid. Wollte der "schwarze" Langzeit-Kanzler (1982 - 1998) die geheimdienstliche Telefon-Überwachung ausschalten, ließ er sich von seinem Fahrer Eckhard Seeber etwas Kleingeld geben und wies diesen an, die nächstbeste Telefonzelle anzusteuern. Sein Auto-Telefon oder das im Kanzleramt benutzte Kohl nur für Unwichtiges.

Ob die Story über die Bespitzelung der deutschen Bundeskanzlerin nun selbst die Funktion eines "roten Herings" erfüllt - oder etwa das Gegenteil, muß sich erst noch herausstellen. Offenbar wurde damit erst das breite Interesse in Deutschland am Thema Bespitzelung geweckt. Andererseits vermittelt eine neue Allensbach-Umfrage das Bild, mehr als Dreiviertel der BundesbürgerInnen fühlten sich durch geheimdienstliche Bespitzelung nicht bedroht. Das Bewußtsein dafür, daß die Freiheit nicht nur in den USA, sondern auch in Europa durch eine zunehmend totale Überwachung in Gefahr ist, scheint noch recht schwach entwickelt zu sein.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Wie die NSA eMails bei Gmail und Co.
      mitlesen kann (30.10.13)

      "Stop watching us"
      Demo in Washington für Freiheit statt Angst (26.10.13)

      Virus ab Werk
      Smartphones mit Windows-Wurm (24.10.13)

      Französische Regierung von NSA bespitzelt
      US-Botschafter "einbestellt" (21.10.13)

      Erneut Panikmache
      Bluff zur Einführung der eGesundheitskarte (18.10.13)

      Internet-Schnüffelei
      BND zapft deutsche Provider an (7.10.13)

      Adobe gehackt
      Zugriff auf Quellcodes von ColdFusion und Acrobat (4.10.13)

      Bluff mit eGesundheitskarte
      Druck auf Unwillige scheinbar erhöht (2.10.13)

      Internet-Schnüffelei
      GCHQ bespitzelt ganz Europa (28.08.13)

      Witz der Woche
      "Gilt auf deutschem Boden deutsches Recht?" (21.08.13)

      Größter Daten-Skandal der Nachkriegszeit
      Millionen PatientInnen und ÄrztInnen ausgespäht (18.08.13)

      Washington Post deckt auf:
      NSA hat doch US-Recht gebrochen (16.08.13)

      Snowden beibt vorerst in Rußland
      "Keine Auslieferung an USA" (1.08.13)

      "Stop watching us"
      Bundesweit Demos gegen Geheimdienst-Schnüffelei (27.07.13)

      Big Brother hört mit
      Hintertür per SIM-Karte (21.07.13)

      Microsoft half offenbar bei Schnüffelei
      und unterstützte NSA
      beim Umgehen von Verschlüsselungen (12.07.13)

      Snowden entwischt
      Whistleblower flieht nach Ecuador (23.06.13)

      Snowden: Britischer Geheimdienst GCHQ
      spitzelt noch extremer als NSA (17.06.13)

      Prism ist nichts Neues
      Whistleblower macht latenten Skandal publik (7.06.13)

      Big Brother wächst
      Bundesrat macht Weg frei für Überwachungs-Staat (3.05.13)

      "Anti-Terror-Datei"
      Urteil der Bundesverfassungsgerichts
      ebnet Weg zu neuer Gestapo (25.04.13)

      Big Brother liest mit
      Allein im Jahr 2011: 2,9 Millionen eMails und SMS (5.04.13)

      Witz der Woche
      Privatsphäre bei facebook (4.07.12)

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      Mobilfunkanbieter speichern illegal (18.06.12)

      Schaar: Mit Staats-Trojaner
      wurden Grundrechte verletzt (16.02.12)

      Max-Planck-Institut:
      Vorratsdatenspeicherung völlig ineffektiv (27.01.12)

      Sicherheitslücke bei Apple entdeckt
      IT-Sicherheitsexperte ausgesperrt (9.11.11)

      Trojaner-Skandal weitet sich aus
      "Big Brother" kann noch mehr (19.10.11)

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      Verfassungsignoranz und Dilettantismus (8.10.11)

      Vorratsdatenspeicherung
      Schünemann bestätigt KritikerInnen (6.06.11)

      Daten-Skandal
      Schnüffel-Software in Apples iPhone (21.04.11)

      Big Brother Award 2011 für
      Facebook, Apple und Daimler (1.04.11)

      EU mit Appetit auf Passagier-Daten
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