30.05.2010

Ölkatastrophe im Golf von Mexiko
Sichtbare Spitze
eines verbrecherischen Systems

Ölpest In den vergangenen Wochen kamen immer mehr Fakten ans Tageslicht, die beweisen, daß es sich bei der Havarie der Bohrinsel 'Deepwater Horizon' keineswegs um ein völlig unwahrscheinliches Unglück handelte. Die wohl größte Umweltkatastrophe in der Geschichte der Ölförderung ist die notwendige Folge kapitalistischen Profitstrebens. Mittlerweile scheiterte der dritte Versuch, das Bohrloch zu verschließen.

Da die globale Ölförderung seit Jahren sinkt, wächst der Druck, immer höhere Risiken bei der Ölförderung einzugehen. Karl Marx zitierte in dem 1867 veröffentlichten ersten Band des 'Kapital' folgende Aussage: "Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens." (Diese Sätze sind im Original in englischer Sprache, wurden von Marx frei übersetzt und mit korrekter Quellenangabe versehen.)

Schon im Jahr 2008 geriet die US-amerikanische Behörde für Rohstoffverwaltung MMS (Minerals Management Service) durch Drogenorgien, Saufgelage und Sexpartys in Verruf (wie die 'Frankfurter Rundschau am 17. Mai 2010 immerhin mit einem Satz zu berichten wußte). In den USA war ein interner Bericht aufgetaucht, aus dem hervorgeht, wie US-Inspektoren von den Öl-Giganten geschmiert wurden. So kam beispielsweise zutage, daß ein Inspektor, der vier Ölbohrinseln kontrollieren sollte, sich gleichzeitig bei der Ölfirma um einen Job bewarb. Andere übergaben das Formular zur Qualitätsprüfung gleich dem Öl-Konzern: Dort wurde dieses mit dem Bleistift ausgefüllt und die Kontrolleure schrieben den Text dann mit dem Kugelschreiber ins Reine. Der Untersuchungs-Bericht bezieht sich auf den Zeitraum 2005 bis 2008 und handelt von Schmiergeldern, illegalen Geschenken wie etwa Einladungen zu ausgiebigen Jagd- und Angelausflügen sowie zu wichtigen Football-Spielen, von Drogen-Konsum und von Sex-Partys.

Im Verlauf der vergangenen Jahre wurden die behördlich vorgegebenen Sicherheits-Standards bei Ölbohrungen vor der Küste immer mehr abgesenkt. Mittlerweile sind interne Papiere des BP-Konzerns ans Tageslicht gekommen, aus denen hervorgeht, daß BP-Ingenieure bereits am 22. Juni 2009 ein spezielles, auch bei der Bohrinsel 'Deepwater Horizon' eingegangenes Risiko zur Sprache brachten: Sie warnten davor, daß eine Metallverschalung, die am Bohrloch installiert werden sollte, unter großem Druck brechen kann. Laut 'New York Times', gestrige Ausgabe vom Samstag, 29.05., habe BP jedoch entgegen der konzerneigenen Sicherheitsbestimmungen an der Verwendung dieser Metallverschalung festgehalten - offenbar aus Gründen des Profits. In dem von der 'New York Times' veröffentlichten Dokument heißt es in Hinblick auf den Bruch der Metallverschalung: "Aber ich habe es schon mal erlebt, also seid euch bewußt, daß es passieren kann." BP habe dennoch an der billigeren Lösung festgehalten und sich dafür eine spezielle Erlaubnis eingeholt.

Und entgegen manchen auf dem Papier vorgegebenen Einschränkungen der "unternehmerischen Freiheit" unterließ es die MMS beispielsweise in Hunderten von Fällen, die vorgeschriebenen Stellungnahmen der Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA für die Öl-Bohrgenehmigungen einzuholen. Gegenüber der 'New York Times' äußerten mehrere WissenschaftlerInnen nun, ihre Warnungen vor Sicherheits- und Umweltrisiken bei Ölbohrungen im Golf von Mexiko und in Alaska seien immer wieder vom Tisch gewischt worden. Die MMS habe "routinemäßig" ihre eigenen BiologInnen und TechnikerInnen zum Stillschweigen gebracht. Auch seien sie von MMS-BeamtInnen gedrängt worden, die Ergebnisse kritischer Studien nachträglich abzuändern.

Unbestreitbar ist zudem, daß keinerlei erprobte technische Sicherheitsvorkehrungen existieren, um eine Katastrophe beim Austritt von Öl aus einem Bohrloch in 1.500 Meter Tiefe wie bei der havarierten 'Deepwater Horizon' unter Kontrolle bringen zu können. Bereits im Jahr 2000 forderte die MMS von der Ölindustrie die Erstellung technischer Leitlinien für die Verhinderung von Lecks bei Tiefseebohrungen. Die Öl-Konzerne haben dies ignoriert und bis heute keine entsprechenden Empfehlungen oder Vorschriften formuliert. Übergangen wurden bislang auch die Warnungen von UmweltschützerInnen und TechnikerInnen aus der Industrie vor den erhöhten Risiken bei Ölbohrungen vor der Küste in immer größeren Tiefen.

Des weiteren wurde inzwischen bekannt, daß die Landkarten, mit denen die empfindlichsten Ökosysteme an der Küste des Golfs von Mexiko identifiziert werden sollen, wegen Haushaltskürzungen beim Ozeanografischen Amt noch auf dem Stand von vor mehr als zehn Jahren sind.

Eine Studie der MMS aus dem Jahr 2002 belegt, daß die notwendigen Vorrichtungen an den sogenannten Blowout Preventern (Rückschlagventil zur automatischen Absperrung des Bohrleitung im Falle eines Unfalls) nicht funktionstüchtig waren. Labortests der "Shear Rams" genannten Ölsperren (Vorrichtungen zur Absperrung von geplatzten Rohren) schlugen fehl. Sieben von acht Produzenten solcher "Shear Rams" weigerten sich von vorne herein, diese überhaupt untersuchen zu lassen. Im selben Jahr fand der im Auftrag der MMS arbeitende norwegische Forscher Pers Holland heraus, daß bei der Verwendung von Blowout Preventern anstatt der standardmäßig eingesetzten einen Ölsperre zwei installiert werden sollten. Nach Angaben Hollands konnte der Einsatz eines einzigen Unterbrechungsmechanismus bei zehn Prozent aller Lecks zum Scheitern bei der Verspundung führen. Diese Erkenntnis Hollands wurde von der MMS ignoriert.

Eine von der MMS im Jahr 2004 in Auftrag gegebene Studie warf erhebliche Zweifel auf, ob überhaupt Vorkehrungen für funktionstüchtige Schutzvorrichtungen gegen Lecks unter den Druckverhältnissen in der Tiefsee zur Verfügung stehen. Es gibt dafür keine normativen Bezugsgrößen.

Bei der Bohrinsel 'Deepwater Horizon' fehlte zudem eine sogenannte akustische Schaltung, ein Sicherheitsmechanismus, der die Blowout Preventer im Falle einer Explosion auslöst. Die Kosten von 500.000 US-Dollar für diese Apparatur wurden von BP als zu hoch erachtet. Der MMS schrieb diese Sicherheitsvorkehrung nicht vor, obwohl sie in Norwegen und Brasilien Standard ist.

Zwischen 2005 und 2009 nahm die Zahl der Kontrollen der Bohrstellen durch die MMS um 41 Prozent ab, obwohl die Anzahl der Tiefseebohrungen in US-Gewässern in diesem Zeitraum zunahm. Die Anzahl von Strafmaßnahmen der MMS auf Grund von Regelverstößen nahm von 66 im Jahr 2000 auf 20 im Jahr 2009 ab.

Im Juni 2009 verzichtete die MMS auf eine Studie der ökologischen Auswirkungen auf die Umgebung des Bohrplatzes von 'Deepwater Horizon', zu deren Erstellung BP vor Bohrbeginn gesetzlich verpflichtet gewesen wäre. Zuvor war US-Präsident Barack Obama vom Nationalen Amt für Ozeane und Atmosphäre (NOAA) darauf hingewiesen worden, daß Studien des MMS über Tiefseebohrungen nicht verläßlich seien. Dennoch erlaubte Obama im Januar 2010 die Ausweitung der aus Umweltschutzgründen bis dahin beschränkte Ölförderung vor der US-Küste. (Siehe unseren Artikel v. 30.01.2010)

Die Verfilzung zwischen MMS und Ölindustrie wurde seit der Wahl Obamas zum US-Präsidenten nicht etwa bekämpft, sondern verdichtete sich weiter. Unter der Decke arbeiteten die Konzerne mit Regierungs-Inspektoren zusammen, die so als Ausführungsorgane der Industrie funktionierten.

BP wird von den US-Medien mittlerweile vorgeworfen, in den vergangenen sechs Wochen hauptsächlich auf Desinformation und Verharmlosung gesetzt zu haben. Offenbar hatte der Konzern bereits vor der Explosion der Bohrinsel 'Deepwater Horizon', bei der elf ArbeiterInnen ums Leben kamen, Hinweise auf massive Probleme. Wenige Stunden vor der Detonation hätten Drucktests im Bohrloch "sehr große Abnormalitäten" ergeben. Das geht aus einer Notiz von zwei US-Abgeordneten hervor, die einem Ausschuß zur Untersuchung der Katastrophe angehören.

Direkt nach der Explosion der Bohrinsel am 20. April behauptete BP, es trete gar kein Öl aus. In den darauffolgenden zehn Tagen hieß es dann, es seien lediglich 160.000 Liter pro Tag. Erst auf Druck unabhängiger WissenschaftlerInnen gab BP zu, daß täglich mindestens 800.000 Liter aus dem Bohrloch strömen. Unabhängige Schätzungen gehen davon aus, daß es sich auch um bis zu 4 Millionen Liter pro Tag handeln kann. Für BP ist diese Art der "Schadensbegrenzung" zweckmäßig, da so zukünftige Schadenersatzforderungen begrenzt werden können. Bislang überläßt die US-Regierung BP die Kontrolle der Schadensbekämpfung am Bohrloch und damit zugleich die Kontrolle über den Informationsfluß. Die Videobilder vom Bohrloch sind lediglich ein Surrogat für die real nicht vorhandene Transparenz.

Mittlerweile gerät auch US-Präsident Barack Obama immer mehr unter Druck, den Öl-Konzern nicht länger allein bei der Bekämpfung der Katastrophe agieren zu lassen. Doch nach wie vor wird von der US-Administration das erbärmliche Argument ins Feld geführt, nur BP verfüge über die technischen Hilfsmittel, das Bohrloch zu verschließen. Immer häufiger kommen in den US-Medien KritikerInnen zu Wort, die "Mister Yes we can" ein schlechtes Krisenmanagment vorwerfen. Zwar reiste Obama nun zum zweiten Mal in die betroffene Region und versprach den Menschen am Freitag in Grand Isle: "Ich bin hier, um Euch zu sagen, daß ihr nicht allein seid." Doch immer mehr Menschen stößt es bitter auf, daß Obama die Ölbohrungen noch vor kurzem als sicher und umweltverträglich bezeichnet hatte. "Ich habe mich geirrt", sagt er heute. Das Scheitern des nunmehr dritten Versuchs, das Bohrloch zu schließen, mit der martialischen Bezeichnung "Top Kill" sei "herzzerreißend" und mache ihn wütend, sagte Obama.

Von den deutschen Mainstream-Medien wird die öffentliche Aufmerksamkeit nahezu ausschließlich auf die technische Seite der verschiedenen Abdichtungs-Versuche gelenkt. Der reale Hintergrund der Katastrophe verschwindet so aus dem Blickfeld. Von Vielen ist auch längst vergessen, daß sich BP vor noch nicht allzu langer Zeit mit einer neuen Interpretation des Firmenlogos als "beyond petrol" zum Verfechter regenerativer Energien stilisieren wollte. Doch heute wird die Aufgabe der Ölförderung vor der Küste als "unrealistisch" abgetan. Nach wie vor hängt der globale Kapitalismus am Tropf der Erdöl-Industrie wie ein Heroin-Junkie an der Nadel.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Havarie der Bohrinsel im Golf von Mexiko
      weitet sich zu Katastrophe aus (30.04.10)

      Peru: Öl-Konzern Repsol plant Ausbeutung im Regenwald
      Indigene und Ökosystem bedroht (20.04.10)

      Ölpest bedroht Weltnaturerbe
      Schiffs-Havarie am Great Barrier Reef (5.04.10)

      Obama verspricht
      Bau neuer Atomkraftwerke in den USA (30.01.10)

      "Friedens"-Präsident Obama erhöht Militär-Etat
      Neuer Weltrekord: 680 Milliarden US-Dollar (29.10.09)

      Öl-Katastrophe vor Australien
      Artenreiche Meeresregion bedroht (23.10.09)

      Obama erhöht den US-Kriegsetat
      Größtes Militär-Budget der Weltgeschichte (8.04.09)

      Ölpest vor Australien
      weitaus größer als zunächst gemeldet (15.03.09)

      Barack Obama und das Nadelöhr
      Ist von Obama anderes zu erwarten als von Bush? (9.10.08)

      US-Gericht entscheidet nach 19 Jahren
      über Tanker-Katastrophe Exxon Valdez
      Exxon-Konzern verdient am Unglück (7.07.08)

 

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