14.08.10

21.000 bei Menschenkette
gegen Stuttgart 21

historischer Stuttgarter Hauptbahnhof Zur bislang größten Demonstration gegen das Mega-Projekt "Stuttgart 21", das nach unabhängigen Schätzungen über 10 Milliarden Euro verschlingen soll und dessen Nutzen umstritten ist, kamen am gestrigen Freitag abend rund 21.000 TeilnehmerInnen und bildeten eine Menschenkette. Dennoch meinte Peter Hauk, "schwarzer" Fraktions-Chef im baden-württembergischen Landtag: "Mit fortschreitender Bautätigkeit wird der Protest nachlassen." Doch im März 2011 stehen Landtagswahlen an.

Die Menschenkette um den historischen Stuttgarter Hauptbahnhof, der im Zuge des Projekts unter die Erde verlegt werden soll, war "gebildet von einem repräsentativen Querschnitt der Wählerschaft in Stuttgart und in der Region", wie Matthias von Hermann von den 'Parkschützern' feststellte. Er reichte von dem aktuell vom Abriß bedrohten Nordflügel des historischen Gebäudes über die Eingangsfront bis in den nahen Schloßgarten, wo rund 300 Bäume gefällt werden sollen. Die beteiligten 21.000 Menschen reichten für eine durchgehend mindestens dreifache Kette. "Und am nächsten Freitag werden wir noch mehr", meinte eine Demonstrantin. "Herr Hauk wird sich noch wundern." Eine große Zahl von TeilnehmerInnen erklärte sich bei einer Befragung durch unsere Korrespondentin bereit, sich an Sitzblockaden gegen den Abriß zu beteiligen. Etliche Hundert hatten sich bei einer "Probe" bereits mit Isomatten, Campinghockern, Kartenspielen und Büchern vor dem Bauzaum eingefunden und sich so gegenseitig in ihrer Entschlossenheit bestärkt.

Selbst etliche Stuttgarter UnternehmerInnen wollen ihren MitarbeiterInnen frei geben, damit sich diese an Blockaden beteiligen können. Ein Firmen-Chef gab sogar öffentlich bekannt, den Betrieb notfalls kurzfristig zu schließen und sich auch selbst am Protest zu beteiligen. Um zur Stunde X möglichst viele DemonstrantInnen zu mobilisieren, haben die im Protest gegen "Stuttgart 21" zusammengeschlossenen Gruppen ein Alarmsystem vereinbart. Einige beobachten abwechselnd Tag und Nacht, was sich am Hauptbahnhof tut. Genau festgelegte Kriterien geben vor, wann der Alarm ausgelöst werden soll.

Auffallend war bei der gestrigen Demo die Mischung aus verschiedenen Milieus, aus alten und jungen Demo-TeilnehmerInnen, die sich abends um 20:30 Uhr an den Händen faßten und einen symbolischen "Schutzwall" um den Stuttgarter Hauptbahnhof bildeten. Danach zog die Demo zum "Widerstandsbaum" im Schloßgarten. Viele hatten Kerzen mitgebracht und verwandelten den dunklen Park in ein Lichtermeer. Um 21:30 Uhr schloß sich ein Protestmarsch durch die Innenstadt an. Am Ende versammelten sich auf dem Marktplatz vor dem Stuttgarter Rathaus selbst nach Angaben der Polizei, die die Anzahl der TeilnehmerInnen zu Beginn auf 18.000 Menschen geschätzt hatte, immerhin 15.000 Menschen. "Der Protest wird weitergehen, das Projekt muß gestoppt werden", sagte Matthias von Herrmann

Am Freitagmorgen hatten am Nordflügel des Bahnhofsgebäudes erstmals sichtbare Abbrucharbeiten begonnen. Ein Bagger entfernte das Vordach im Postbereich des Gebäudes, das im Inneren bereits weitgehend entkernt sei, wie eine Sprecherin von "Stuttgart 21" mitteilte. Der Bagger mußte zuvor von 30 PolizistInnen in den umzäunten Bereich der Nordflügels eskortiert werden. Offenbar wird versucht, die Zerstörung des Gebäudes schleichend zu gestalten, um so möglichst lange spektakuläre Bilder zu vermeiden. Die Strategie, während der Urlaubszeit ohne großes Aufsehen Fakten zu schaffen, darf als gescheitert angesehen werden. Allerdings soll nach offiziellen Angaben der Gebäudeteil bis Mitte November komplett abgerissen sein. Dann wird sich zeigen, ob der Protest standhaft bleibt oder ob die Zahl derer wächst, die sich entmutigen lassen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Studie des Umweltbundesamtes
      Stuttgart 21 provoziert Nadelöhr (12.08.10)

      Immer mehr Menschen protestieren
      16.000 gegen Stuttgart 21 (7.08.10)

      Wachsender Protest gegen "Stuttgart 21"
      Tausende legen Verkehr lahm (2.08.10)

      Protestival der Parkschützer
      Zehntausende gegen "Stuttgart 21" (10.07.10)

      'stern' veröffentlicht geheime Studie
      zu "Stuttgart 21" / Steilvorlage für GegnerInnen (8.07.10)

      Europäische Nachbarn bauen Eisenbahn aus
      In Deutschland wird das Schienennetz abgebaut (29.04.10)

      Verkehrssicherheit
      Bahn weit vor Konkurrenten (30.03.10)

      'Robin-Wood'-Aktion gegen "Stuttgart 21"
      "Stuttgart verscherzt es sich - Zug um Zug" (2.02.10)

      Investitionen in Schienenverkehr:
      BRD ist ganz hinten in der EU (21.01.10)

      Bahn-Privatisierung abgesetzt
      Weltwirtschaftskrise rettet Deutsche Bahn (4.03.09)

      Aus für Transrapid
      Erfolg für Umwelt und Klima (27.03.08)

      38.000 Unterschriften
      gegen Transrapid München (21.12.07)

      Stuttgart 21
      Unerwartet starke Beteiligung am Bürgerbegehren (14.11.07)

 

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