26.07.2019

Reichstagsbrand war False-Flag-Aktion der Nazis
Zeugen-Aussage von 1955 entdeckt

Reichstagsbrand - Foto: National Archives an Records Administration - Lizenz: gemeinfrei
Hans Martin Lennings war einer von drei SA-Männern, die in Zivil am Abend des 27. Februar 1933 einen jüngeren Mann vom SA-Lazarett in der Lützowstraße im Berliner Tiergarten mit einem Automobil zum Reichstagsgebäude fuhren. Den Befehl hierzu hatten sie von Karl Ernst, dem Führer der SA-Untergruppe Berlin-Ost erhalten. An einem der darauffolgenden Tage erschrak Lennings. Auf Zeitungsfotos erkannte er den jungen Mann wieder. Es war Marinus van der Lubbe, der angeblichen Brandstifter. Der Reichstag hatte schon bei ihrem Eintreffen gebrannt.

Die beiden anderen beteiligten SA-Männer waren schon kurze Zeit später tot. Karl Ernst wurde im Auftrag Adolf Hitlers im Zuge des "Röhm-Putsches" am 30. Juni 1934 erschossen. Lennings überlebte nur mit viel Glück bis zum Ende des "Tausendjährigen Reichs" im Mai 1945. Deshalb ist es durchaus plausibel, daß er seine Aussage über die Autofahrt an jenem Abend des Reichstagsbrands in einer auf den 8. November 1955 datierte eidesstattliche Erklärung gegenüber einem Notar in Hannover abgab. Dieses Dokument wurde anschließend in die Urkundenrolle des Notars beim Amtsgericht Hannover mit der Urkundenrollennummer 501 genommen. Auch das niedersächsische LKA hat mittlerweile die Echtheit der Erklärung bestätigt.

Entdeckt wurde das Dokument in diesem Monat im Archiv des Amtsgerichts Hannover. Das niedersächsische LKA hatte zuvor bei Nachforschungen zur eigenen Geschichte eine Abschrift der eidesstattlichen Erklärung im Nachlaß des Geheimdienstlers Tobias Fritz im Bundesarchiv Koblenz gefunden. Tobias Fritz, im Dienste des Inlands-Geheimdienstes und Hobby-Historiker, hatte 1959 die Chance erhalten, in einer groß angelegten Serie des 'spiegel' die von den Nazis in die Welt gesetzte Einzeltäter-These auszubreiten. Offenbar hatte er kein Interesse daran, ein Beweisstück, das dieser Darstellung widersprach, an die Öffentlichkeit zu bringen.

Zunächst hatten die Nazis noch in der Nacht des 27. Februar den Reichstagsbrand zum Signal für einen angeblich unmittelbar bevorstehenden kommunistischen Aufstand erklärt. Damit gelang es ihnen, schon am 28. Februar handstreichartig die beiden Verordnungen "zum Schutz von Staat und Volk" und "gegen Verrat am deutschen Volke und hochverräterische Umtriebe" durchzusetzen und von Reichspräsident Paul von Hindenburg unterzeichnen zu lassen. Mit diesen "Notverordnungen" konnte die Hitler-Regierung die wesentlichen Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft setzen und Deutschland ohne einen bewaffneten Umsturz in eine Diktatur umformen. Die "Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte" diente als offizielle Begründung.

Sofort sicherte sich die Hitler-Regierung mit Hilfe der "Notverordnungen" auch die alleinige Verfügungsgewalt über Presse und Rundfunk. Die NSDAP nutzte diese als Propaganda-Instrumente und setzte zugleich den Terror der SA ein, um zusammen mit ihren deutschnationalen Verbündeten bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 einen sicheren, wenn auch knappen Sieg einzufahren. Die Reichstagsmandate der KPD, der immerhin noch 12,3 Prozent der Wähler ihre Stimme gaben, wurden kassiert und ihre Nebenorganisationen in der Folge verboten. Schon am 2. Mai, nach den Maifeiern des Vortags, schaltete das Nazi-Regime die freien Gewerkschaften aus

Im "Reichstagsbrandprozeß" vor dem Leipziger Reichsgericht wurde zu jener Zeit noch versucht, den Schein von Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Der von den Nazis behauptete kommunistische Aufstand konnte nicht bewiesen werden. Vier neben Marinus van der Lubbe vor Gericht gestellte kommunistische Angeklagte wurden "mangels Beweisen" freigesprochen. Darunter waren der spätere Generalsekretär der Komintern und Ministerpräsident Bulgariens Georgi Dimitroff und der damalige Vorsitzende der KPD-Reichstagsfraktion Ernst Torgler.

Erst zu diesem Zeitpunkt schwenkten die Nazis auf die Einzeltäter-These um. Der Erfinder dieser Darstellung war Rudolf Diels, der erste Chef der Gestapo und Organisator der Großrazzia unmittelbar nach dem Reichstagsbrand. Bereits sechs Stunden vor dem Brand hatte Diels, damals noch Chef der Preußischen Politischen Polizei, in einem Polizeifunktelegramm vor kommunistischen Provokationen am Tage der Reichstagswahl gewarnt: "Geeignete Gegenmaßnahmen sind sofort zu treffen, kommunistische Funktionäre erforderlichenfalls in Schutzhaft zu nehmen."

Rudolf Diehls war es denn auch, auf dessen Einflüsterungen Tobias Fritz seine Texte in der 'spiegel'-Serie von 1959 aufbaute. Der Gestapo-Chef von 1933 und viele seiner ehemaligen Mitarbeiter, die im Faschismus Karriere gemacht hatten, waren nach 1945 in der jungen Bundesrepublik im Polizei- und Verwaltungsapparat untergekommen.

Alle Versuche, die Einzeltäter-These zu erschüttern, scheiterten in der Folge über viele Jahre hin an der Meinungsführerschaft des 'spiegel'. Unterstützt vom Hamburger Nachrichtenmagazin, bald darauf auch von 'Zeit', FAZ, 'Welt' und Co. wurde die These, Marinus van der Lubbe habe den Reichstag 1933 im Alleingang in Brand gesetzt, Bestandteil des Kanons der deutschen Zeitgeschichtsschreibung. Während sich jedoch die Darstellung der Alleintäterschaft ausschließlich auf die "Ermittlungs-Akten" der den Brand 1933 untersuchenden Sonderkommission der Berliner Politischen Polizei, der Vorläufer-Organisation der Gestapo, stützen kann, fanden sich im Laufe der Jahre etliche Fakten, die starke Indizien für eine Täterschaft aus den Reihen der Nazis darstellten (Siehe hierzu unseren Artikel v. 27.02.18).

Der Journalist Sven Felix Kellerhoff versucht hingegen in einem Artikel in der 'Welt', die eidesstattliche Erklärung von Hans Martin Lennings als Falschaussage zu qualifizieren. Dabei stützt er sich wiederum allein auf die "Ermittlungs-Akten". Diese galten in den 1950er-Jahren als verschollen beziehungsweise durch den Krieg vernichtet, befanden sich viele Jahre in Moskau, wurden erst in den 1990er-Jahren öffentlich und sind heute im Bundesarchiv Berlin zugänglich. In seiner Schrift 'Reichstagsbrand. Die Karriere eines Kriminalfalls' von 2008 bezieht sich Kellerhoff allein auf diese interessegeleiteten Akten und ignoriert oder verfälscht alle Fakten, die der Einzeltäter-These zuwiderlaufen.

Das Büchlein wurde im Vorfeld des 75. Jahrestags in einer konzertierten Aktion vom 'spiegel' und der Springer-Presse gepusht und hoch gelobt. Kellerhoff unterlief darin jedoch ein schwerwiegender Fehler: Um den Zweifeln von Brandsachverständigen, ein einzelner Mensch habe einen Brand in einer Größenordnung wie jenem am 27. Februar 1933 legen können, entgegenzutreten, stellte Kellerhoff die These auf, mit dem "Backdraft-Effekt" sei der Reichstagsbrand spielend als das Werk eines Einzelnen zu erklären. "Zum Phänomen des 'Backdraft' passen alle bekannten Details des Brandes im Reichstagsplenarsaal", schreib Kellerhoff. Damit schoß Kellerhoff aber ein fulminantes Eigentor. "Unterstellt man die Richtigkeit dieser Aussage", so Prof. Karl Stephan vom Institut für Technische Thermodynamik und Thermische Verfahrenstechnik der Universität Stuttgart, "so beweist sie allerdings das Gegenteil von dem, was bewiesen werden soll, denn ein 'Backdraft' wäre vor allem dann wahrscheinlich, wenn man zuvor flüssige Brennstoffe in den Plenarsaal eingebracht hätte".

Kellerhoff ficht dies nicht an: In seinem heute in der 'Welt' veröffentlichten Artikel bietet er erneut das Märchen feil, Kohleanzünder hätten ausgereicht, um den Reichstag in Brand zu stecken. Auch den Zickzack-Kurs, den Marinus van der Lubbe laut den in den Akten notierten Zeugenaussagen in Berlin zurückgelegt haben soll, stellt Kellerhoff ausführlich dar, um so aufzuzeigen, daß van der Lubbe nicht zugleich im Automobil zum Reichstag habe gebracht werden können. Der Verdacht, daß all die Zeugenaussagen, die von der Sonderkommission der Berliner Politischen Polizei im Auftrag Diehls gesammelt wurden, um die Einzeltäter-These zu untermauern, wenig wert sind, scheint Kellerhoff fremd zu sein. Nachdem das Foto van der Lubbes nach dem 27. Februar 1933 in allen Zeitungen veröffentlicht worden war, konnte im Berlin jener Jahre sicherlich unter Dutzenden beliebiger Zeugenaussagen ausgewählt werden.

Die Darstellung, die Hans Martin Lennings in seiner eidesstattlichen Erklärung abgab, ist hingegen stimmig. Lennings wurde 1904 geboren und starb 1962. Seine Erklärung ließ er im Jahr 1955 offensichtlich für den Fall notariell abfassen, daß es zur damals diskutierten posthumen Wiederaufnahme des Prozesses gegen van der Lubbe gekommen wäre. Lennings war streng katholisch und erklärte, sein Beichtvater habe ihm zu der Aussage geraten.

Laut dieser eidesstattlichen Erklärung erhielt Lennings am Abend des 27. Februar 1933 vom Führer der SA-Untergruppe Berlin-Ost, Karl Ernst, den Befehl, einen jüngeren Mann von einem SA-Lazarett in der Lützowstraße im Berliner Tiergarten mit einem Automobil zum Reichstagsgebäude zu fahren. Der Auftrag erfolgte nicht direkt, sondern über einen Polizeispitzel.

Diesen Befehl führten Lennings und zwei weitere in Zivil gekleidete SA-Männer zwischen 20 und 21 Uhr aus. Während der Fahrt sprach Marinus van der Lubbe "kein Wort" und machte auf Lennings einen "benommenen" Eindruck. Am Reichstag überstellten die Drei den ihnen unbekannten Mann einem Nebeneingang an einen dort wartenden, ebenfalls "in bürgerlicher Kleidung" auftretenden SA-Mann. Dieser wies sie bei der Übergabe an, sich schnell wieder zu entfernen. Am Reichstag bemerkte Lennings einen "eigenartigen Brandgeruch" und schwache Rauchschwaden, die aus dem Gebäude strömten.

In den folgenden Tagen habe er, so Lennings in seiner Erklärung weiter, aufgrund der in den Zeitungen abgebildeten Fotografien des im brennenden Reichstagsgebäude verhafteten Marinus van der Lubbe in diesem jenen Mann erkannt, den er und die anderen zwei SA-Männer am Abend des 27. Februar 1933 vom Berliner Tiergarten zum Reichstagsgebäude gebracht hätten. Der Umstand, daß van der Lubbe in der Presse als Brandstifter hingestellt wurde, obwohl er, Lennings, und seine Kameraden gewußt hätten, daß dieser nicht der Brandstifter gewesen sein konnte, da das Gebäude ja bereits gebrannt habe, als sie ihn dort abgeliefert hätten, habe sie dazu veranlaßt, sich beschwerdeführend an seine Vorgesetzten zu wenden Er und die beiden andere SA-Männer hätten aus diesem Grund gegen die Verhaftung und die wahrheitswidrige öffentliche Präsentation Lubbes als Brandstifter protestiert: Sie seien daraufhin in Schutzhaft genommen worden und hätten Reverse unterschreiben müssen, in denen sie erklärten, "daß wir von nichts etwas wissen". Nach einer Woche seien sie auf Befehl von SA-Führer Ernst Röhm wieder entlassen worden.

Lennings zufolge seien später fast alle zum engeren Kreis der am Reichstagsbrand beteiligten SA-Leute erschossen worden und er vermutete auch, daß das der Grund für die Ermordung von Karl Ernst gewesen war. Er selbst, so Lennings, sei jedoch gewarnt worden und in die Tschechoslowakei geflüchtet. Nach seiner Ausweisung aus der Tschechoslowakei und einer zwischenzeitlich erfolgten Amnestie kehrte er nach eigenen Angaben 1934 wieder nach Deutschland zurück. Wegen Äußerungen gegen das Regime wäre er Ende 1934 kurz in Schutzhaft genommen worden und 1936 längere Zeit, nachdem er das Grab eines beim "Röhm-Putsch" Erschossenen in Rudolstadt besucht habe. Entlassen worden wäre er dann in Stuttgart im Jahr 1937.

Marinus van der Lubbe wurde als einziger offiziell überführter Tatverdächtiger im Reichstagsbrandprozeß vor dem Leipziger Reichsgericht im Dezember 1933 zum Tode verurteilt und im Januar 1934 getötet.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkung

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