11.09.2009

Milchlieferstreik europaweit

Auch deutsche MilchbäuerInnen wollen sich beteiligen

Am gestrigen Donnerstag rief der Dachverband European Milk Board (EMB) in Paris nach einer Krisensitzung zu einem sofortigen, unbefristeten und europaweiten Milchlieferstreik auf. In Frankreich beteiligen sich mittlerweile rund 25 Prozent der MilchbäuerInnen, so ein Sprecher der der Erzeugerorganisation APLI. Insgesamt sollen sich MilchbäuerInnen in acht Ländern dem Milchlieferstreik anschließen. Dazu gehören Frankreich, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich, Italien, das Nicht-EU-Land Schweiz - und inoffiziell die Bundesrepublik Deutschland. Die französischen Bauernverbände erwarten die Beteiligung von 30.000 - etwa zwei Drittel aller MilchbäuerInnen. In Deutschland dürfen sie nicht offiziell streiken, da es sich bei MilchbäuerInnen formal um Selbständige handelt, die gegenüber Molkereien und Einzelhandel theoretisch den Preis für ihre Milch selbst aushandeln müssen.

In einer "freien Marktwirtschaft" haben sich bislang nur ArbeiterInnen das Recht erkämpft, sich zusammenzuschließen und das "freie Kräftespiel von Angebot und Nachfrage" mit einer kartellartigen Preisabsprache - den gemeinschaftlichen Tarifverhandlungen mit Hilfe von Gewerkschaften - zu ihren Gunsten zu verschieben. Nach dem Milchlieferstreik im Sommer 2008 erging ein Urteil des Oberlandgerichts Düsseldorf, das ein gemeinschaftliches Vorgehen der MilchbäuerInnen verbietet. Sie sollen sich also weiterhin von der Nachfrage-Seite gegeneinander ausspielen lassen. Der Verband der MilchbäuerInnen, BDM, verzichtet daher diesmal auf einen Aufruf, der ihn teuer zu stehen kommen könnte. Doch auch so ist aus vielen Regionen Deutschlands zu hören, daß sich eine große Zahl der deutschen MilchbäuerInnen am europaweiten Milchlieferstreik beteiligt.

"Wir dürfen uns nicht wehren, obwohl wir in einer existenzgefährdenden Krise sind. Die Politik läßt die Bauern ins offene Messer laufen", sagt der BDM-Vorsitzende Romuald Schaber. Nach Angaben der Milchviehhalter deckt der Milchpreis mit derzeit 18 bis 24 Cent nur die Hälfte der Produktionskosten. Schaber kritisiert das Urteil Düsseldorfer RichterInnen zum Milchlieferboykott im vergangenen Jahr. Sie hatten eine Beschwerde seines Verbandes gegen eine Abmahnung des Bundeskartellamts für den Boykottaufruf vom April 2008 zurückgewiesen. So ist es dem BDM untersagt, zur Beteiligung am europaweiten Milchlieferstreik aufzurufen. Schaber läßt es sich allerdings nicht nehmen, offentlich anzukündigen, daß er selbst derzeit keine Milch mehr auslierfert.

Die Mehrheit der VerbraucherInnen hierzulande für eine Verringerung der Milchmenge, um so den Bauern unter die Arme zu greifen. 56 Prozent der Deutschen halten dies für sinnvoll, wie aus einer Umfrage im Auftrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und des BDM hervorgeht. Eine Mehrheit lehnt auch die derzeitige EU-Politik mit Lager- und Exportsubventionen, die angeblich der Stabilisierung der Milchpreise in Europa dienen sollen, ab.

Hubert Weiger, BUND-Vorsitzender, erklärt: "Gegen den Willen der Bevölkerung unterstützen die EU-Kommission und die Agrarminister der Mitgliedsstaaten die Molkereien mit Exportsubventionen, während die Milchbauern wegen der Überproduktion reihenweise pleite gehen. Die negativen Folgen der Exportsubventionen für die Kleinbauern in Entwicklungsländern und für das Klima sind bekannt. Die EU-Kommission muß endlich ihre Milchpolitik ändern, anstatt weiter weltweit bäuerliche Existenzen zu ruinieren. Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ist an der Seite der Milchbauern und will, daß die Milcherzeugung in bäuerlichen Händen bleibt. Die Gesellschaft verlangt, daß ein Strukturwandel gestoppt wird, der dazu führt, daß die Milcherzeugung nicht mehr auf Wiesen und Weiden, sondern nur noch in wenigen Agrarfabriken stattfindet." Bereits in der vergangenen Woche hatte ein breites Bündnis aus Bauern-, Umwelt- und Entwicklungsverbänden sowie kirchlichen Institutionen ein Ende der Export-Subventionen und die Senkung der Milchmenge in der EU gefordert.

Der Deutsche Bauernverband lehnt dagegen einen Milchlieferstreik ab: Es sei "völlig widersinnig, jetzt die Lage der Bauernfamilien noch durch Wegschütten und Vernichten von Milch weiter zu verschlechtern und ihnen die Einnahmen völlig zu entziehen", Auch die Milcherzeuger im Verband 'Unternehmen Milch', überwiegend Großbetriebe, die massiv von staatlichen Subventionen profitieren, sprechen sich gegen einen Milchlieferstreik aus. "Wir beteiligen uns nicht an solchen Aktionen, denn sie sind absolut kontraproduktiv", sagt Fritz Jäger, Vorstandsvorsitzender von 'Unternehmen Milch'. Der Milchmarkt erhole sich allmählich von den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise. Die aktuellen Notierungen der Spotmilchpreise und der Milchpulverauktionen stiegen. Es wäre nach Ansicht des Verbandes fatal, wenn die Milchmarkterholung kaputt gestreikt würde.

Ein realistischeres Bild der weiteren Entwicklung der Milchpreise dürfte sich aus einer aktuellen Mitteilung des Lebensmittel-Discounters Aldi ergeben: Er kündigte eine neue Preissenkungsrunde an. Auch Käse soll billiger werden. Dies dürfte kaum dazu führen, daß die MilchbäuerInnen mehr Geld für ihre Milch bekommen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

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