22.01.2006

Wald-AIDS

Der Waldzustandsbericht der Bundesregierung und die Ursachen des seit über zwanzig Jahren anhaltenden Siechtums der deutschen Wälder

Anders als "Rot-Grün" hat sich "Schwarz-Rot" mit der Veröffentlichung des jährlichen "Waldzustandsberichts" viel Zeit gelassen. Die baden-württembergische Landesregierung hatte ihren Bericht weniger verschämt bereits Anfang November vorgelegt. Diese Woche soll er nun erscheinen. Die wesentlichen Inhalte sind bereits bekannt geworden. Insgesamt geht es den deutschen Wäldern nicht ganz so schlecht wie im Jahr 2004, doch der "Zustand" ist schlimmer als Mitte der 80er Jahre als die Öffentlichkeit mit regelmäßigen Schlagzeilen über das "Waldsterben" hysterisiert wurde.

Seit Jahren wird das Thema in den Mainstream-Medien mit ein, zwei Meldungen im Jahr bagatellisiert - die Ursachen der athropogenen Naturkatastrophe werden fast vollständig ausgeblendet. Die wirklichen Ursachen sind nicht beim heißen Sommer 2003 zu suchen - wie ein Teil der Medien noch vor einem Jahr zu suggerieren versuchte. Die extreme Wetterlage verschärfte die Situation, doch ursächlich für die anhaltende Immunschwäche des Öko-Systems Wald ist der - zwar in seinen Bestandteilen immer wieder variierte - massive Schadstoffeintrag aus Straßenverkehr und konventioneller Landwirtschaft. Ein Blick auf folgende Grafik zeigt zudem, daß weder 2004 noch 2005 sich besonders von der Entwicklung seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1984 abheben.

Entwicklung der Waldschäden 1983 - 2005

Unter Fachleuten gelten in den letzten Jahren Stickstoffverbindungen als die größte Schadstoffbelastung im gesamten Chemikalien-Cocktail, dem die Wälder über Luft und Niederschläge ausgesetzt sind. Sie versauern den Waldboden, setzen giftige Substanzen frei und bringen die Nährstoffsituation im Boden aus dem Gleichgewicht. Die Folge ist eine anhaltende Immunschwäche der deutschen Wälder, die sie gegen Schädlinge und Wetterlagen, die für einen gesunden Wald kein Problem darstellen, extrem anfällig werden läßt. Statt vom "Waldsterben" ist es daher eher gerechtfertigt, von Wald-AIDS (englisch: acquired immune deficiency syndrome) zu sprechen.

Hauptverursacher des Wald-AIDS ist eindeutig die landwirtschaftliche Tierproduktion. Ausgenommen kann hierbei lediglich die Öko-Landwirtschaft werden, die strikte Höchstgrenzen für den Tierbestand der nach Demeter- oder Bioland-Richtlinien arbeitenden Höfe einhält. Hinzu kommt - nach wie vor - als Hauptverursacher Nummer Zwei der Straßenverkehr und insbesondere der LkW-Verkehr.

Die politische Verantwortung für die jetzige Situation trägt "Rot-Grün". Weder wurde in den letzten sieben Jahren ihrer Regierungszeit die versprochene Verkehrs-Wende noch die Agrar-Wende realisiert. Auf dem Höhepunkt der BSE-Krise im Jahr 2000 hatte Bundeskanzler Schröder verkündet, die Krise als Chance für eine Agrar-Wende nutzen zu wollen. Er feuerte zwei Minister und gab die Parole aus: "Weg von den Agrarfabriken". Doch letztlich blieb alles bei einem neuen Etikett: "Bio - nach EG-Öko-Verordnung". Und die konventionelle Landwirtschaft erhielt weiterhin - entgegen dem weitverbreiteten Mißverständnis - finanziell im Durchschnitt mehr Förderung als Bio-Betriebe.1

Von der Verkehrs-Wende hatte sich "Rot-Grün" hingegen mit seltener Ehrlichkeit und großem Gestus öffentlichkeitswirksam abgewendet - sie wurde als "Lebenslüge der Grünen" abgetan. Daß die "Öko-Steuer" als Lenkungsabgabe voraussehbar wirkungslos blieb, war Fachleuten bereits vor sieben Jahren klar.2 Doch in völliger Verkennung der Realität hatte Ministerin Künast im Juli 2003 - im fünften Regierungsjahr von "Rot-Grün" - die frohe Botschaft verkündet, sie sei "auf dem besten Wege das Waldsterben zu besiegen".

56 Prozent aller Waldbäume waren im Jahr 1984 betroffen - das "Waldsterben" Umwelt-Thema Nummer Eins. Laut neuestem Befund sind es nun 71 Prozent (2004: 72 Prozent). Auf 29 Prozent (2004: 31 Prozent) der Gesamtfläche weisen die Bäume "schwere Schäden" auf. Dramatisch verschlechtert hat sich den Angaben zufolge 2005 der Zustand der Eichen: Der Anteil der Eichen mit schweren Schäden ist von 45 Prozent im Jahr 2004 auf 51 Prozent gestiegen. In Baden-Württemberg sind 75 Prozent der Eichen schwer geschädigt - so viel wie in keinem anderen Bundesland. Die Buche hat sich dagegen leicht erholt und weist dem Bericht zufolge noch 44 Prozent (2004: 55 Prozent) "deutliche Kronenverlichtungen" auf.

Im Waldzustandsbericht der Bundesregierung wird offenbar stark auf die regionalen Unterschiede abgehoben. Dies deutet darauf hin, daß "Schwarz-Rot" eine bundespolitische Verantwortung von sich weisen und die Politik von "Rot-Grün" - wie in so vieler anderer Hinsicht - nahtlos fortzusetzen gedenkt. Und über die Ursachen ist im Bericht die verharmlosende Floskel von einer "Vorbelastung der Wälder durch noch immer zu hohe Stoff- und Säureeinträge" zu finden.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen:

1 Auch in den sieben Jahren "rot-grüner" Bundesregierung bekamen konventionelle Betriebe je Hektar Fläche deutlich mehr Agrar-Subventionen als Bio-Betriebe. Dies belegt eine Studie aus dem Jahr 2005, die von der Universität Hohenheim in Zusammenarbeit mit der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft erstellt wurde.

2 Bereits 1994 hatte die Basler Prognos AG eine Studie vorgelegt, auf die sich das von der damaligen Bundesregierung in Auftrag gegebene Umweltgutachten in folgendem Zitat bezieht:
"Die langfristig anzustrebende Höhe der Mineralölsteuer ist an den gesetzten umweltpolitischen Zielen zu orientieren, vor allem an dem CO2-Minderungsziel der Bundesregierung. Um einen wirksamen Beitrag zur Erreichung des CO2-Zieles zu leisten, müßten die mittleren Kraftstoffpreise (für Otto- und Dieselkraftstoff) nach Schätzungen der Prognos AG bis zum Jahr 2005 auf 4,60 DM angehoben werden." (Quelle: Umweltgutachten 1994)

Siehe auch unsere Artikel

    'Der Wald hat AIDS - "Rot-Grün" schaut zu' (18.03.05)

    'Wald-AIDS so schlimm wie nie zuvor' (8.12.04)

    'Wald-AIDS - Zustand schlimmer als 1983' (19.10.04)

    'WWF sieht "Rot-Grün" auf dem Holzweg'
    "Holz-Charta" offenbart Mißachtung der Wälder (3.09.04)

    'Der Wald hat AIDS'
    Aktuelle Befunde am Krankenbett (3.09.04)

    'Auch "Rot-Grün" kann nicht länger leugnen:
    Dem Wald geht's immer schlechter' (12.12.03)

    'Waldsterben trotzt Künast
    Optimismus allein nützt nichts' (23.10.03)

    'Waldsterben virulent' (29.08.03)

    'Künast zum Haartest?' (15.07.03)

 

neuronales Netzwerk