zwischen Inflationsgefahr und Wirtschaftskrise
Der mit großer Spannung erwartete Termin, zu dem die Europäischen Zentralbank (EZB) ihre Entscheidung über Erhöhung oder Senkung des Leitzinses verkünden wollte, offenbarte eine Notenbank auf der Suche nach dem goldenen Mittelweg. Die EZB gab heute (Donnerstag) bekannt, den Euro-Leitzins unverändert zu lassen.
Im Gegensatz zur US-amerikanischen Notenbank Fed, die am 18. September den Leitzins drastisch gesenkt hat1 und damit zu erkennen gab, daß sie die Gefahr einer Wirtschaftskrise höher einschätzt als eine beschleunigte Inflation, signalisiert die EZB, daß ihr weiterhin an der "Preisstabilität" gelegen sei. Der Leitzins bleibt bei 4,00 Prozent und ist damit immer noch deutlich niedriger als der US-amerikanische, den die Fed von 5,25 auf 4,75 Prozent reduziert hatte. Zur Sicherung der Preisstabilität hätte der Leitzins jedoch erhöht werden müssen - um das Risiko einer Wirtschaftskrise abzuwenden, wäre dagegen eine Senkung des Leitzinses dringend angesagt.
Der Rat der EZB vermied in einer Pressekonferenz im Anschluß an eine Sitzung des Gremiums in Wien auch jede Andeutung, die als Ankündigung einer baldigen Zinsänderung gewertet werden könnte. Einerseits steht die EZB wegen des Euro-Höhenfluges gegenüber dem US-Dollar stark unter Druck, den Leitzins zu senken. Die hauptsächlich auf Export orientierte europäische Wirtschaft wird durch den Kurs des Euro stark gebremst. Hinzu kommt der steigende Ölpreis. Andererseits muß die zur Sicherung der Kaufkraft des Euro im Binnenmarkt dringend nötige Erhöhung des Leitzinses wegen der sich ausweitenden Banken-Krise unterbleiben.
Die 'Neue Züricher Zeitung' interpretiert die EZB-Entscheidung in dem Sinne, daß die Währungshüter "trotz den gestiegenen Unwägbarkeiten optimistisch" geblieben seien. Das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone werde für 2008 auf 2,0 Prozent geschätzt. "Beunruhigend" sei jedoch die beschleunigte Teuerung, die im September auf 2,1 Prozent - nach 1,7 Prozent im Vormonat - geklettert sei.
Als bemerkenswert wurde registriert, daß die EZB ihre Geldpolitik erstmals seit November 2005 nicht mehr als "akkommodierend" charakterisierte. Dies wird von BeobachterInnen so interpretiert, daß die EZB von einem strengeren wieder auf einen lockereren Kurs in der Zinspolitik wächst. Der "Straffungskurs" der EZB gilt als beendet.
EZB-Präsident Jean-Claude Trichet versicherte, die wirtschaftliche Entwicklung weiter genau zu beobachten: "Wir müssen weitere Informationen abwarten, um die Situation besser einschätzen zu können." Die Wachstumsrisiken seien gestiegen. Zugleich wies Trichet auf die Inflationsgefahr wegen der steigenden Ölpreise und der hohen Geldmenge im Markt hin. Die EZB befindet sich wie einst Odysseus auf einem Kurs zwischen Scylla und Charybdis.
Die Banken-Krise hat dazu geführt, daß die Geldmarktsätze, zu denen sich die Banken untereinander Geld leihen, besonders im Drei-Monats-Bereich stark gestiegen sind. Sie notieren mit gut 4,7 Prozent weit über dem Leitzins. Dies spiegelt nach wie vor das Mißtrauen der Banken, welche verdeckten Risiken sich in den Bilanzen der Konkurrenten verbergen. Sie wollen so vermeiden, bei einem Zusammenbruch einer Bank mit in den Sog gerissen zu werden.
Ohne die Senkung des Leitzinses wird sich jedoch in den kommenden Wochen ein Banken-Crash nicht vermeiden lassen. Den Zusammenbruch einzelner Banken zuzulassen, ist die Medizin, die der frühere Chef der Fed, Alan Greenspan, seinen Nachfolgern denn auch angeraten. Greenspan wird als Berater in Europa hoch geschätzt und die EZB folgt offenbar diesem Rezept. Doch ob sich ein Banken-Crash jedoch auf einige wenige Banken eingrenzen läßt oder eine Kettenreaktion auslöst, bei der ein Dominostein den nächsten im Fallen mit sich reißt, erscheint recht fraglich. Die europäische Banken-Landschaft weist trotz Risiko-Minimierung und Entflechtung der "Deutschland AG" einen hohen Grad an gegenseitigen Abhängigkeiten auf. Und ein großflächiger Banken-Crash brächte in der Folge die befürchtete Wirtschaftskrise. So könnte sich am Ende eine alte Bauernweisheit bestätigen:In Gefahr und großer Not, bringt der Mittelweg den Tod.
Auch die britische Notenbank, die Bank of England, sah auf ihrer heutigen Sitzung keinen Anlaß für eine Änderung des Leitzinses und beließ diesen unverändert bei 5,75 Prozent. Bis Anfang September hatte der Markt noch eine weitere britische Zinserhöhung in diesem Jahr auf 6 Prozent erwartet. Die Verschärfung der Banken-Krise und die aufsehenerregende Stützungsaktion für die Hypothekenbank Northern Rock haben das Klima aber deutlich verändert.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
1 Siehe hierzu unseren Artikel vom 18.09.
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Harman-Übernahme platzt wegen Banken-Krise (23.09.07)
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