6.12.2009

Stasi-Akten offenbaren
Nazi-Hintergrund
des Dutschke-Attentats von 1968

Nachdem Anfang dieses Jahres neue Erkenntnissen zum Mord am Studenten Benno Ohnesorg, der am 2. Juni 1967 vom Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras1 im Verlauf einer Demonstration gegen den Staatsbesuch des damaligen iranischen Diktators verübt wurde, in Stasi-Akten gefunden wurden, tauchen nun aus denselben Aktenbeständen Dokumente auf, die einen Nazi-Hintergrund des bislang offiziell als "Einzeltäter" dargestellten Attentäters Josef Bachmann aufzeigen. Bachmann hatte am 11. April 1968 den Studentenführer Rudi Dutschke niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Dutschke starb infolge der Nachwirkungen des Attentats am 24. Dezember 1979.

Dennoch muß weder im einen noch im anderen Fall die "Geschichte umgeschrieben" werden, wie dies von den Mainstream-Medien gerne verkündet wird. Weder wird durch die Stasi-Zugehörigkeit des Bachmann-Attentäters Kurras die fanatisierte West-Berliner Polizei exkulpiert, noch durch den braunen Hintergrund Bachmanns die Schuld von Springer-Konzern und etablierter Politik am Attentat auf Dutschke relativiert. Im Fall Dutschke kommt sogar erschwerend hinzu, daß der bloße Verdacht vieler Jugendlicher und StudentInnen des Jahres 1968, die etablierte Politik sei auch mehr als zwei Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges mehr oder weniger faschistisch, in einem Detail Bestätigung erfährt.

Josef Bachmann, ein 23-jähriger Hilfsarbeiter, der von Polizei und Justiz damals als "Einzeltäter" dargestellt wurde, hatte der Nazi-Szene in seinem niedersächsischen Wohnort Peine angehört. Dies ergibt sich nicht allein aus jenen aktuell entdeckten Stasi-Akten, sondern wird auch durch Aussagen des mittlerweile 66-jährigen Rentners Wolfgang Sachse bestätigt.

Der Aktenfund liefere "Schlüsselinformationen bei der Aufklärung von Bachmanns politischen Hintergrund" erklärt der Neonazi-Experte und Buchautor Tobias von Heymann ('Die Oktoberfestbombe'), der bei Recherchen auf die Stasi-Akten stieß. Bedeutsam ist nicht allein der Nazi-Background von Bachmann, sondern darüber hinaus die Tatsache, daß nicht nur die Stasi sondern auch westdeutsche Ermittler damals über diese Verbindungen informiert waren, wie die Verhör-Protokolle der West-Berliner Polizei beweisen. Offenbar haben die damalige Polizei und Justiz gezielt sämtliche Spuren, die auf den Nazi-Hintergrund Bachmanns hinwiesen, vor der Öffentlichkeit geheim gehalten.

Der 'spiegel' berichtet auf der Grundlage des Akten-Funds von Tobias von Heymann, daß der Dutschke-Attentäter bereits als 17-jähriger Kontakt zu Nazis im niedersächsischen Peine hatte. 1961 traf er auf den damals 18-jährigen Wolfgang Sachse. Dieser versorgte als "Schießwart" auf einem Schießplatz in Peine Anhänger der braunen Szene ebenso wie scheinbar ehrbare Polizisten mit Munition und sogar Waffen und Sprengstoff. Auf die Fragen des 'spiegel'-Journalisten Peter Wensierski bekannte Sachse, daß er Bachmann in jener Zeit gut kannte. Er habe Bachmann auch zu Hause besucht. Dessen Zimmer habe ein selbstgemaltes Hitler-Portrait an der Wand geziert und im Regal habe Hitlers 'Mein Kampf' gestanden. Bachmann habe über die Jahr etliche Waffen besessen und fleißig auf dem Schießplatz geübt.

Bestätigt wird diese Darstellung durch die Ermittlungs-Akten der West-Berliner Polizei: Bachmann gestand, daß er bereits 1961 "eine Gaspistole von Wolfgang Sachse gekauft" habe. Dieser habe sie "zu einer scharfen Waffe gemacht, indem er den Lauf durchbohrt" habe. Bachmann war Anfang der 1960er Jahre, noch keine 18 Jahre alt, beim Aufbrechen eines Autos erwischt und danach verurteilt worden.

Doch obwohl Bachmann nach dem Attentat auf Dutschke den Waffenkauf und den Kontakt mit Sachse im Verhör zugab, ignorierte die Polizei diese Spur. Die Herkunft der Tatwaffe, mit der Bachmann auf Dutschke schoß, wurde offiziell als ungeklärt dargestellt. Dabei glich die in Peine 1961 scharfgemachte Gaspistole dem aufgebohrten Revolver Arminius HW1, Kaliber 9 Millimeter, der Tatwaffe vom 2. Juni 1967.

Selbst als sich 1967 ein Zeuge meldete, der über Bachmanns braunen Hintergrund aussagen wollte, fand dies keinen Niederschlag in der Anklageschrift. Die Ermittler blendeten all dies aus. Auch Bemühungen der West-Berliner Polizei, von ihren niedersächsischen Kollegen, denen die rechte Szene durch zahlreiche Straftaten wohlbekannt war, Informationen zu erhalten, blieben ohne sichtbares Ergebnis. Wenig verwunderlich erscheint dies bei einigen zusätzlichen Informationen zur West-Berliner Polizei jener Tage: Diese war weit überwiegend in SPD-Hand. Und repräsentativ für die Berliner SPD steht weniger der heute häufig verklärte Willy Brandt als der bis zum Bachmann-Attentat amtierende Polizeipräsident Erich Duensing, der zwischen 1941 und 1943 als Generalstabsoffizier der Wehrmacht in der Ukraine an der berüchtigt brutalen Partisanenbekämpfung beteiligt war. Er war SPD-Mitglied und hatte mit jenem militärischen Corpsgeist die West-Berliner Polizei geprägt, der auch einem Karl-Heinz Kurras keineswegs fremd war.

Schlagzeilen hatte die braune Szene, die sich damals von Braunschweig über Peine bis Hannover organisiert hatte, nicht allein durch Straftaten ausgelöst. Einer der Anführer war das 1924 geborene NPD-Mitglied Paul Otte. Dieser begeisterte Bachmann und seine Freunde mit der Schilderung von Kriegserlebnissen. Als ein weiterer Anführer galt der damals noch junge Taxi-Unternehmer Hans-Dieter L., ebenfalls ein NPD-Mitglied.

Gemeinsam übten sie auf dem Schießplatz von Peine mit Pistolen, Schnellfeuergewehren und Maschinenpistolen. Im Umfeld des Schießplatzes bildete sich so eine immer größere Horde aus Nazis, Waffennarren und auch Polizisten. Laut Sachse waren unter den Polizisten etliche frühere Nazis. Sie verschossen sogar ihre Dienstmunition und Sachse half ihnen dann bei dienstlichen Waffenkontrollen aus peinlichen Situationen heraus. Die Allianz zwischen Braunen und Polizei bestand auch über den Schießplatz hinaus, wie Sachse heute ohne Umscheife ausplaudert. So erschienen Sachse und seine Kumpels bewaffnet in ihrer Stammkneipe, die Pistolen am Halfter, und blieben dabei von der Polizei unbehelligt: "Wir wurden von der Polizei in jeder Hinsicht gedeckt", erklärt Sachse.

Diese Darstellung korrespondiert mit jener des Stasi-Mitarbeiters Hans-Dieter L., der sich in die NPD eingeschlichen hatte. In den nun entdeckten Stasi-Akten finden sich seine Berichte, in denen er von unangemeldeten Schießübungen schreibt. Diese würden "von der Polizei toleriert, da selbst Peiner Polizeibeamte mit eigenen, schwarzen Waffen dort Schießübungen vornehmen und sich von Herrn Sachse Munition geben lassen." Gute Freunde könnten bei Sachse "sämtliche Waffen oder Sprengstoff kaufen."

Hinweise auf gemeinsam organisierte Aktionen Bachmanns aus seiner Zeit in Peine gab es genügend. So erzählte Bachmann selbst den Ermittlern, daß er Anschläge auf die innerdeutsche Grenze ausgeführt habe. Wiederholt seien sie zu dritt oder zu zweit "mit meinem VW zur Zonengrenze in die Nähe des Kraftwerkes Harpke" - also bei Helmstadt - gefahren. "So habe ich eines Abends aus meinem 38er Trommelrevolver, den ich damals besaß, eine Trommel in Richtung Osten leergeschossen", sagte Bachmann laut Protokoll aus und erklärte, er habe gehofft, Grenzsoldaten würden sich nähern. "Dann hätte ich weitergeschossen."

Mit einem Abschleppseil riß Bachmann nach eigener Aussage den Stacheldrahtzaun an der Grenze ein, um dann mit Steinwürfen Minen zur Explosion zu bringen. Ähnliche Aktionen hatten andere Nazis aus Peine jahrelang organisiert. Deshalb hatte sich die Stasi Zugang zur Nazi-Szene in Peine verschafft.

Seltsam wohlformuliert erscheint dagegen eine Aussage Josef Bachmanns, die in den Vernehmungsprotokollen zu finden ist: "Es könnte alles so hingestellt werden, daß das von einer rechtsgerichteten Organisation alles geplant war. Das war aber nicht der Fall, da ich diese Tat von mir aus begangen habe und eine Hintergrundorganisation nicht besteht." Aus den Protokollen geht nicht hervor, daß die Ermittler überhaupt nach solchen Bezügen gefragt hätten.

Auch nach dem Attentat Bachmanns blieb die braune Szene in Niedersachsen aktiv. Paul Otte ernannte sich zum Führer einer NSADP-Zelle und sprach - laut Stasi-Akte - über politisch motivierte Banküberfälle um "Geld für den NS-Untergrundkampf" zu beschaffen. Es kam zu den Sprengsoffanschlägen der "Braunschweiger Gruppe", etwa auf Gerichtsgebäude in Zelle und Hannover - zwei Jahre bevor der Terror von Gruppen wie der um Bader und Meinhof oder der RAF begann. 1981 wurden Sachse, Otte, L. und andere zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Das Urteil jedoch verschwand als "Geheime Verschlußsache" in den Schubladen. Eine kleine Überraschung bei der Verhandlung wird dafür nicht ausschlaggebend gewesen sein: Stasi-Spitzel L. war Doppelagent und zumindest seine Arbeit für den niedersächsischen "Verfassungsschutz" wurde aufgedeckt. In dieser Funktion - dies ist seit dem Platzen des Verbotsverfahrens gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht im Jahr 2003 nicht Neues mehr - hatte L. die Aktivitäten der Gruppe mit vorangetrieben.

'spiegel'-Autor Wensierski kommentiert am Ende seines Artikels: "Und statt ein Attentat, das die Republik veränderte, konsequent aufzuklären, ignorierten Ermittler Bachmanns rechtsextreme Verbindungen - wohl um die kompromittierende Peiner Schießplatz-Allianz zu verschleiern."

So wurde Bachmann 1969 als vermeintlicher Einzeltäter zu sieben Jahren "Zuchthaus" verurteilt. Nach mehreren gescheiterten Versuchen nahm er sich angeblich Anfang 1970 in seiner Zelle das Leben. Zuvor hatte Rudi Dutschke brieflich mit ihm Kontakt aufgenommen. "Du wolltest mich fertigmachen", schrieb er Bachmann. "Ich mache Dir einen Vorschlag: greife die herrschenden Cliquen an. Warum haben Sie Dich zu einem bisher so beschissenen Leben verdammt? Also schieß nicht auf uns, kämpfe für Dich und Deine Klasse." Als Dutschke von den Selbstmordversuchen Bachmanns erfuhr schrieb er ihm: "Höre auf mit den Selbstmordversuchen, der antiautoritäre Sozialismus steht auch noch für Dich da." Bachmann war offenbar zumindest von dem von Rache freien und teilnahmsvollen Impetus Dutschkes berührt und bedauerte in einem Brief an Dutschke, "was ich Ihnen angetan habe." Er dachte sogar darüber nach, ob er vielleicht eine "ganz verkehrte Auffassung" von seinem Opfer gehabt hatte. Da ist es zumindest verdächtig, wenn Bachmann - nach mehreren Selbstmordversuchen, die auch dem Gefängnispersonal nicht verborgen geblieben waren - am 24. Februar 1970 mit einer Plastiktüte über dem Kopf erstickt aufgefunden wurde.

Doch auch ohne die nun entdeckten Stasi-Akten war bereits 1967 klar, daß Bachmann nicht allein Täter, sondern zugleich selbst Opfer war. Bekannt wurde bereits kurz nach seiner Verhaftung, daß er eine Seite aus der 'Deutschen Nationalzeitung' in seiner Jacke trug und eine Schlagzeile darauf lautete: "Stoppt Dutschke jetzt! Sonst gibt es Bürgerkrieg." Unter dieser Überschrift fanden sich auf diesem Blatt aus der Partei-Zeitung der NPD fünf Fotos von Dutschke, die wie ein Steckbrief aufgemacht waren. Da war es nicht allzu weit hergeholt, wenn 1968 die Meinung kursierte, ein großer Teil der Bevölkerung sei aufgehetzt von Schlagzeilen der Bild-"Zeitung" und anderer Springer-Blätter, die der 'Deutschen Nationalzeitung' der NPD in nichts nachstanden.

Bereits beim Ohnesorg-Attentat hatte das Springer-Blatt 'Berliner Zeitung' (B.Z.) geschrieben: "Wer Terror produziert, muß Härte in Kauf nehmen." Und am 7. Februar 1968 stand in der Bild-"Zeitung" in großen Lettern: "Stoppt den Terror der Jungroten jetzt." Dabei entwickelte sich der Terror der Gruppe um Bader und Meinhof, der RAF und anderer realitätsfremder "Befreiungs-Organisation" erst nach dem Dutschke-Attentat, erst nach dem September 1969 und Dank einer staatlichen Gewalt-Eskalation, die die Gewalt dieser Gruppen schürte und so erst eine sich gegenseitig steigernden Spirale der Gewalt in Gang setzte.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu unseren Artikel:

      Ohnesorg-Mörder erneut angeklagt
      Kurras war anscheinend Stasi-Spitzel (22.05.09)

Zum Thema BRD / DDR siehe auch unsere Artikel:

      DDR-Nostalgie?
      57 Prozent der Ostdeutschen werten DDR positiv (26.06.09)

      DDR-Schießbefehl aufgefunden
      Ersäufen oder Erschießen? (12.08.07)

      Bisky zum vierten Mal "düpiert"
      Wenn selbst ein ARD-Kommentar... (8.11.05)

      Der "Sturm auf die Stasi-Zentrale" - eine Farce
      Ende 1989 war wochenlang Zeit... (15.01.05)

      Unrechtsstaat
      Anti-Kommentar zu »DDR-Bewältigung« (25.08.04)


      Mielke geistert weiter durch deutsche Telefone
      Zahl der Abhör-Aktionen steigt dynamisch (23.09.09)

      Bundesverfassungsgericht: Ja, aber
      zum Lissabon-Vertrag (30.06.09)

      Postzensur in der BRD
      Wieviel das Grundgesetz in den 1950er-Jahren wert war (27.06.09)

      60 Jahre Unrechts-Staat BRD
      (23.05.09)

      Bundesverfassungsgericht stoppt Wahl-Computer
      Die Manipulierbarkeit von... (3.03.09)

      ELENA - Eine gigantische Datenbank
      soll Angaben von 40 Millionen Beschäftigten umfassen (26.06.08)

      ARD-Magazin 'Report':
      Meldedaten im Internet frei zugänglich (23.06.08)

      Telekom schnüffelte in Eigenregie
      Staatsanwaltschaft ermittelt (24.05.08)

      Big Brother hört mit
      Zahl der Abhör-Aktionen nimmt weiter zu (20.05.08)

      Bundesverfassungsgericht präsentiert größte
      Mogelpackung aller Zeiten: Das virtuelle Grundrecht (28.02.08)

      Bald alle Deutsche in "Superdatei" erfaßt?
      Datenschutzbeauftragter kritisiert Pläne für Bundesmelderegister
      (12.02.08)

      30.000 klagen gegen Vorratsdatenspeicherung
      Sensibilität wächst wie zu Zeiten des Volkszählungsboykotts 1987
      (2.01.08)

      Datenschutz - mehr Löcher als Käse
      BKA speichert IP-Adressen (27.11.07)

      15.000 in Berlin gegen Stasi 2.0 (23.09.07)

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      Abhören von El-Masri-Anwalt war verfassungswidrig (16.05.07)

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      ...zur Kriminalitätsbekämpfung jedenfalls nicht (25.02.05)

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      Totalüberwachung der Konten (21.11.04)

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      Echelon und die deutsche Wirtschaft (5.03.01)

      Stasi-Mielkes Auferstehung (23.02.01)

      Echelon: Existenz des Abhörsystems
      erstmals von einer Regierung bestätigt (21.01.01)

 

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