29.09.2009

Zukunftsweisender Gerichtsentscheid
gegen Strom-Konzerne

BGH erzwingt Dezentralisierung
und stärkt Erneuerbare Energien

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat in einem aufsehenerregenden Urteil dem Oligopol der Großen Vier auf dem deutschen Strom-Markt einen schweren Schlag versetzt. Nach diesem Grundsatzurteil bleiben die Strom-Konzerne nicht die Eigentümer des Strom-Netzes, wenn ein neuer Anbieter die Konzession erhält. Damit wird die Machtbasis der Großen Vier, RWE, E.on, Vattenfall und EnBW, untergaben und Dezentralisierung gefördert. Denn wer über das Eigentum am Netz verfügt, kann die Konkurrenz klein halten - wie sich seit der Liberalisierung des Strommarktes im Jahr 1998 gezeigt hat.1 Das BGH-Urteil kommt nicht zuletzt dem - in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten gebremsten - Ausbau von Erneuerbaren Energien und von Blockheizkraftwerken zu Gute.

Das Urteil vom heutigen Dienstag macht den Weg frei für Tausende Kommunen, die Gas- und Stromversorgung ihrer BürgerInnen wieder in die eigene Hand zu nehmen. Das Gericht verurteilte den Energieversorger HEAG Südhessische Energie (HSE) dazu, das betroffene Strom-Netz beim Auslaufen von Konzessionsverträgen an die jeweiligen Kommunen zu verkaufen, wenn dies zu Vertragsbeginn so geregelt war. HSE wollte dagegen das Strom-Netz weiter im Eigentum behalten und es nur verpachten. Geklagt hatten die Versorger Gruppen-Gas und Elektrizitätswerk Bergstraße (GGEW) sowie Energieried, die Seeheim-Jugenheim mit Strom und Bürstadt mit Gas versorgen.

Formal ging es bei der juristischen Auseinandersetzung um eine - seinerzeit bundesweit übliche - Klausel in den 1991 geschlossenen Verträgen, in denen die Kommunen langfristige Konzessionen für den Betrieb von Strom- und Gasnetzen vergeben haben. Danach muß der Versorger - falls er nicht selbst wieder zum Zug kommt - das Netz nach Ablauf des Vertrags an die Kommune oder den neuen Konzessionär übereignen. Die HSE sah sich an diese Klausel nicht mehr gebunden: Im Energiewirtschaftsgesetz von 2005 sei in diesen Fällen nur eine "Überlassung", aber keine "Übereignung" der Netze vorgesehen, so daß eine Verpachtung ausreichend sei.

Der BGH sah stattdessen den Vertragsanspruch auf Übereignung nach wie vor als bindend an. Die vertragliche Verpflichtung sei in diesem Punkt eindeutig. Es gehe um einen vollständigen Wechsel, und der werde am besten dadurch vollzogen, daß das Netz übernommen wird.

Das Urteil ist von zukunftsweisender Bedeutung, da es bundesweit rund 20.000 Konzessionsverträge zwischen Kommunen und Energieversorgern gibt und fast alle diese Verträge entsprechende Klauseln zur Übereignung der Netze enthalten. Tausende davon laufen in den beiden kommenden Jahren aus, darunter etwa auch jene von Hamburg und Stuttgart.

Allein in Baden-Württemberg werden nach der Einschätzung von Fachleuten in den kommenden Jahren 500 bis 800 Verträge betroffen sein. Da es bei einer Verpachtung der Netze nicht zu einem Wettbewerb kommen wird, ist vorauszusehen, daß diese im Besitz der Kommunen verbleiben. Und damit ist gesichert, daß es erstmals zu einem echten Wettbewerb zwischen den Stromanbietern kommen wird. Dies stellt eine bedeutende Chance dar, daß Anbieter von Ökostrom wie die EWS Schönau oder Greenpeace energy endlich aus ihrer Nischen-Existenz ausbrechen können.

Dem Bundeskartellamt zufolge sind derzeit viele Kommunen bemüht, die neuen Konzessionen an kommunale Unternehmen zu vergeben. Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten viele Kommunen ihre Stadtwerke an große Energiekonzerne verkauft haben, versuchen die Städte und Gemeinden nun, diese Einnahmequelle wieder zurückzugewinnen, kaufen ihre Stadtwerke zurück oder gründen neue Eigenbetriebe in kommunaler Hand.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch unseren Artikel:

      E.on, RWE, EnBW und Vattenfall treiben die Strompreise hoch
      Kartellamt sitzt auf brisanten Ermittlungsdaten (5.11.07)

Siehe auch unsere Artikel zum Thema:

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