WissenschaftlerInnen um Arno Schlüter vom Fachbereich Architektur und Gebäudesysteme an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich haben neuartige Fassaden-Elemente entwickelt, die Strom produzieren und automatisch Lichteinfall sowie Wärmebildung regulieren. Erstmals zum Einsatz kommt die neuartige adaptive Solar-Fassade am frisch eingeweihten House of Natural Resources.
Für den Energiehaushalt von Gebäuden ist deren Hülle von großer Bedeutung. Im heutigen Gebäudebestand sind die Fassaden meist statisch und passen sich kaum wechselnden Bedingungen an. In den vergangenen Jahren wurden zwar nach und nach Wärmedämmung und die Luftdichtigkeit verbessert. Doch es gibt für die Energiewende ein wichtiges und bisher noch zu wenig genutztes Potenzial: Gebäudehüllen, insbesondere die Fassaden, eigenen sich, um Wärme und Strom zu gewinnen.
Starre Struktur wird dynamisch
Die Fassade als Grenze zwischen Innen- und Außenraum beeinflußt maßgeblich den Luft-, Licht- und Wärmehaushalt eines Gebäudes – und damit direkt den Komfort der NutzerInnen. Sowohl der Außen- wie auch der Innenraum sind dabei stochastischer Natur: Sie verändern sich ständig, und ihre Zustände sind nicht oder nur vage vorhersehbar. Dennoch sind die Hüllen, wie wir sie heute bauen, statisch. Sie sind nur auf einen oder wenige unterschiedliche Zustände ausgerichtet. Heutige Gebäudehüllen reagieren nicht oder nur eingeschränkt, wenn das Wetter wechselt oder Räume anders genutzt werden. Damit bleiben beachtliche Potenziale für Energieeinsparung, -gewinnung und verbesserten Komfort ungenutzt.
WissenschaftlerInnen um Arno Schlüter vom Fachbereich Architektur und Gebäudesysteme an der ETH Zürich forschen an Ansätzen, um die Gebäudehülle dynamischer, effizienter und lernfähiger zu machen. Ein Beispiel ist die adaptive Solar-Fassade. Sie besteht aus individuellen Modulen, die auf einem Seilnetz an der Fassade montiert sind. Sie können einerseits den Licht- und Wärmeeintrag in den Innenraum beeinflussen, indem sie mehr oder weniger Sonnenstrahlung durch die Fenster lassen. Andererseits produzieren sie Strom über hocheffiziente Dünnschichtmodule. Die adaptive Solar-Fassade ist darüber hinaus sehr leicht, womit sie im Gegensatz zu herkömmlichen Photovoltaik-Modulen nahezu überall - auch an bestehenden Gebäuden - angebracht werden kann.
Anpassungsfähig durch weiche Robotik
Die Module sind dank einem neuen Bauteil beweglich, dem 'Soft Robotic Actuator'. Diese "weichen Roboter" sind ein neues und vielversprechendes Feld der Robotik. Sie bestehen aus biegsamen Materialien, die verschiedenste Formen annehmen, wenn sich der Druck in speziellen Kammern verändert. Solche Aktuatoren werden sonst hauptsächlich für Prothesen und biomimetische Roboter eingesetzt – die WissenschaftlerInnen um Arno Schlüter erforschen und entwickeln sie nun für zukünftige Energie- und Klima-Systeme von Gebäuden.
Die hier verwendeten Soft Robotic Actuators werden mit einem eigens dafür entwickelten Hohlraum-Gußverfahren hergestellt. Ihre Hohlkammern werden anschließend mit Luft gefüllt. Ventile steuern die Luftmengen, die eingepumpt oder abgelassen werden, um den Aktuator zu verformen und so das Solarelement gezielt zu bewegen. Die Soft Robotic Actuators können jedes Modul der adaptiven Solar-Fassade individuell steuern und dieses - verbunden mit einer Steuer-IT - alleine oder in Gruppen auf zwei Achsen rotieren. Auf diese Weise können die Module der Sonne folgen und Strom gewinnen, solare Einträge nutzen oder verringern, Privatheit schaffen oder Ausblick ermöglichen. Durch eine intelligente und lernfähige Regelung soll sich die Fassade zudem auf das wechselnde Wetter und die Gewohnheiten und Wünsche der BenutzerInnen optimal anpassen.
Eine derartige Funktion wäre ohne die Soft Robotic Actuators nur durch eine aufwändige Kombination mehrerer mechanischer Teile möglich. Diese wären weniger haltbar und teurer – daher ist es unrealistisch anzunehmen, daß sie in Zukunft an Fassaden eingesetzt werden. Der an der ETH entwickelte Aktuator kostet in der industriellen Fertigung nur wenige Franken pro Stück. Im Labor haben die Soft Robotic Actuators in zyklischen Tests gezeigt, daß sie robust sind. Jetzt müssen sie noch beweisen, daß sie sich auch unter den rauen Bedingungen an einer Gebäudefassade bewähren. Hierfür - und für eine Vielzahl weiterer Tests - dient ein Fassaden-Prototyp von 50 Modulen an der Südseite des House of Natural Resources (HoNR).
Das Modul verwendet hocheffiziente CIGS-Dünnschicht-Solarzellen (Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid) und erreicht einen hohen Wirkungsgrad. Die Solarzellen werden durch einen Industriepartner entwickelt. Erste Lebenszyklus-Berechnungen haben ergeben, daß die Adaptive Solar-Fassade innerhalb von eineinhalb Jahren das für ihre Erstellung emittierte CO₂ wieder kompensiert.
Im Rahmen des EU ClimateKIC Flagship Projects "BTA – Building Technologies Accelerator" wird derzeit untersucht, wie und in welcher Form die Adaptive Solar-Fassade und damit die Soft Actuators zu einem marktfähigen Produkt weiterentwickelt werden können. Bei einem Erfolg könnte dieses Projekt der ETH Zürich einen Beitrag zur effizienten Erzeugung von Energie am Gebäude und damit zur Energie-Wende leisten.
Anmerkungen
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