28.08.2008

Land der HeuchlerInnen

Deutsche pro und contra spritsparende Autos

Ein hübsches Beispiel für die in Deutschland weit durch alle sozialen Schichten verbreitete Heuchelei lieferen aktuell zwei Meldungen, die zufällig im Abstand von nur 24 Stunden veröffentlicht wurden:

So fordern laut einer heute veröffentlichten Meinungsumfrage 83 Prozent der BundesbürgerInnen von der Politik, daß sie die Autoindustrie dazu zwingen möge, verbrauchsärmere Autos auf den Markt zu bringen. Für 67 Prozent der Deutschen ist beim Neuwagenkauf inzwischen der niedrige Verbrauch eines Wagens entscheidend - sagen sie. Damit liege dieser Aspekt erstmals weit vor Sicherheit (42 Prozent), Motorleistung (12 Prozent) und Komfort (11 Prozent). Für technische Maßnahmen zur Verbrauchsreduzierung würden NeuwagenkäuferInnen durchschnittlich 14 Prozent des Kaufpreises mehr ausgeben.

Laut einer Mitte dieses Monats veröffentlichten Umfrage behaupten sogar 95,3 Prozent der befragten Deutschen, zumindest indirekt einen eigenen Beitrag für die Umwelt zu leisten, indem sie vor dem Hintergrund stark ansteigender Spritpreise angeblich beim Autokauf an erster Stelle auf einen besonders niedrigen Verbrauch achten.

Wie wenig jedoch die Selbsteinschätzung oder auch die bewußte Lüge bei der Befragung mit der Realität zu tun hat, zeigt die aktuell veröffentlichte Studie des 'Europäischen Verbandes für Verkehr und Umwelt': AutokäuferInnen in Deutschland achten demnach beim Kauf eines Autos weit weniger auf Spritverbrauch und Umweltschutz als solche in den europäischen Nachbarländern. In Deutschland zugelassene Neuwagen stoßen durchschnittlich 168 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer aus. Damit liegt Deutschland auf Platz 15 der 18 untersuchten EU-Länder - also dem dritten Platz von hinten.

Die Autos mit dem geringsten Kohlendioxid-Ausstoß werden laut dieser Studie in Portugal gefahren. Auch die ItalienerInnen und die FranzÖsInnen verhalten sich beim Autokauf weitaus rationaler als die Deutschen. Und: Überall kaufen Männer die weitaus dickeren Autos.

Eine weitere Studie belegt, daß Deutschland AutofahrerInnen zwar "Ja zum Umweltschutz" sagen, in der Praxis aber kaum auf das eigene Auto verzichten. Bei näherer Befragung stellt sich heraus, daß der "schwarze Peter" gerne und häufig den Automobilherstellern zugeschoben wird. Politik und Autoindustrie hätten die Verantwortung, durch eine technische Optimierung der Fahrzeuge die Umweltbelastung maßgeblich zu reduzieren. Die Automobilhersteller ihrerseits rechtfertigen die Palette ihrer Angebote und das Fehlen des technisch längst machbaren Autos mit einem Spritverbrauch von deutlich unter 3 Liter pro 100 Kilometer mit den Wünschen ihrer Kundschaft.

Nach wie vor werden rund 19 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland durch den Verkehr verursacht. Und real trägen nur rund 25 Prozent der AutofahrerInnen durch eine rationale Fahrzeugwahl, -nutzung und Fahrweise selbst etwas zur Reduzierung der Umweltbelastung bei. Entgegen den "erfreulichen" Antworten bei Umfragen entscheiden sich real nur 36 Prozent der AutokäuferInnen für für ein kleineres und damit zumeist emissionsärmeres Auto. Überhaupt scheint das Interesse, sich mit Umweltverträglichkeit des eigenen Fahrzeuges auseinanderzusetzen in Deutschland nicht sehr ausgeprägt: Nur etwa die Hälfte der Befragten (56,1 Prozent) weiß darüber gut bis sehr gut Bescheid.

Ebenso wie sich bei den meisten deutschen (Wahl-)BürgerInnen Worte und Taten krass voneinander unterscheiden, ist dies bei deren politischen RepräsentantInnen: Während in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wird, bis 2012 einen Grenzwert von 120 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer für das Durchschnittsfahrzeug über die gesamte Angebotspalette jedes Automobilherstellers festzulegen, zeigen die "Umwelt"-Minister in der Realität ein ganz anderes Verhalten. Sowohl beim Regierungswechsel von "Schwarz-Gelb" zu "Rot-Grün", 1998, als auch beim Wechsel von "Rot-Grün" zu "Schwarz-Rot", 2005, stieg der Sprit-Verbrach der Minister-Karossen: Zwischen 2004 ("Rot-Grün") und 2006 ("Schwarz-Rot") stieg der Flottenverrauch der Fahrzeuge im Dienste der Bundesregierung sogar von 11,8 Liter pro 100 Kilometer auf 12,6 Litern pro 100 Kilometer. Auch das Bundes-"Umwelt"-Ministerium machte da keine Ausnahme - ganz im Gegenteil. Sowohl Kraftstoffverbrauch (plus 0,71 Prozent) als auch Motorenleistung (plus 1,28 Prozent) haben im Jahr 2006 im Vergleich zum Vorjahr sogar noch zugenommen. Der Dienstwagen von "Umwelt"-Minister Sigmar Gabriel ist mit einem Kohlendioxid-Ausstoß von 249 Gramm pro Kilometer wahrlich kein Klimaschutz-Weltmeister.

Kommentar:

Es sollte nicht wundern, wenn sich bei Kinder und Jugendlichen bald der Slogan herumspricht: "Trau keinem über 18!" Oder werden sie weiterhin auf die Heuchelei und "political correctness" von Erwachsenen - und seien es ihre eigenen Eltern - hereinfallen?

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

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