15.09.2012

Atomwaffen-Plutonium in deutschen AKW?
Welche Rolle spielte "Rot-Grün"?

AKW in grün?
Deutsche Atomkraftwerke werden offenbar seit rund zwölf Jahren mit Uran aus russischen Militärbeständen betrieben. Die 'Süddeutsche Zeitung' berichtet, daß in den vergangenen zehn Jahren mehr als 1.000 Brennelemente eingesetzt worden seien, die solches Uran enthielten. Bei weiteren 500 gelte dies als sehr wahrscheinlich, der Einsatz von zusätzlichen 180 Elementen sei geplant. Mit 200 Brennelementen läßt sich ein durchschnittliches Atomkraftwerk rund fünf Jahre betreiben. Brisant wird diese Nachricht jedoch erst mit der Frage, inwieweit auch Plutonium mit im Spiel war.

Mit ihrer Veröffentlichung betreibt die 'Süddeutsche' zugleich Desinformation, denn sie erweckt den Anschein, in den fraglichen Brennelementen sei kein Plutonium enthalten. Etliche weitere deutsche Mainstream-Medien haben sich dieser - die Tatsachen entstellenden - Darstellung angeschlossen. Und so fehlt jegliche Grundlage, wenn die 'Süddeutsche' Emotionen zu wecken versucht: "Es ist eine verstörende Vorstellung: Immer dann, wenn Bürger Strom verbrauchten - am Herd, Laptop oder Lichtschalter - wurden sie zu atomaren Abrüstern. Über ein Jahrzehnt landete die strahlende Gefahr aus Russland nach Informationen der Süddeutschen Zeitung als Brennstoff im großen Stil in deutschen Reaktoren. So machten hiesige Atommanager ein ganzes Land zu ihrem Handlanger - ohne, dass dessen Bürger davon wussten." ('Süddeutsche Zeitung', 15.0912)

So schreibt die 'Süddeutschen Zeitung' zum Thema Plutonium lediglich - als habe es sich um eine ferne Zukunftsperspektive gehandelt: "Die Papiere ermöglichen tiefen Einblick und decken kaum fassbare Strategien auf: Im Jahr 2001 machten sich Atommanager in Berlin dafür stark, in Zukunft auch den noch gefährlicheren Atombombenstoff Plutonium aus Militärbeständen Russlands in deutschen AKW abzufeuern - gegen den Rat von Umweltschützern und Atomexperten. Man eruierte die politische Lage und resümierte erfreut, die Bundesregierung sei für das Thema grundsätzlich offen. So steht es in einem internen EnBW-Schreiben an Ex-EnBW-Chef Gerhard Goll zur Vorbereitung auf ein Gespräch mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 2001. Selbst die Grünen hatte die Branche nach eigener Lesart im Griff: "Überraschenderweise gibt es bei den Grünen dank guten Lobbyings durch die richtigen Leute eine vergleichsweise hohe Akzeptanz", schreibt der Chef der EnBW-Kraftwerke AG, Michael Gaßner, an Goll (...)"

Laut 'Süddeutscher Zeitung wurden in folgenden Atomkraftwerken Brennelemente mit hochangereichertem Uran russischer Herkunft eingesetzt - ob es sich dabei um MOX-Bennelemente handelte, bleibt offen: in dem 2005 stillgelegten AKW Obrigheim, im AKW Brokdorf, im AKW Unterweser, im AKW Gundremmingen und im "grünen" baden-württembergischen AKW Neckarwestheim.

Hätten die russischen Brennelemente kein Plutonium enthalten, sondern lediglich Uran - dieses ist um keinen Deut gefährlicher, wenn es aus militärischen Beständen stammt, statt direkt aus Uran-Minen etwa in Brasilien oder Afrika - bestünde kein Anlaß für eine "verstörende Vorstellung". Im Gegenteil: Mit dem Anknipsen den Lichtschalters zur globalen Abrüstung beizutragen, müßte doch eher Wohlbehagen und ein gutes Gewissen hervorrufen. Gänsehaut jedoch vermag das Wissen auszulösen, daß in deutschen Atomkraftwerken Brennstäbe eingesetzt werden, die das brisante Plutonium enthalten. Gelangen auch nur wenige Nanogramm Plutonium in die Lunge, führt dies zu Krebs.

Bereits im September 2000 wußte etwa Gernot Erler, damals stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und spätere Staatsminister im Außenministerium (2005 bis 2009):

"Die Entscheidung der Bundesregierung, den Prozess der Umwandlung von Waffenplutonium durch Bereitstellung von Finanzmitteln zur Immobilisierung zu unterstützen und den Export der Hanauer Anlage nach Russland zu genehmigen, ohne diesen mit Hermes-Bürgschaften abzusichern, ist aus abrüstungs- und rüstungskontrollpolitischer Sicht vernünftig.
Das Problem, Plutonium für Waffenzwecke unbrauchbar zu machen, entstand in der Folge der atomaren Abrüstungsverträge, die zwischen den USA und Russland ausgehandelt worden sind (START I und II). Durch die Reduzierung atomarer Sprengköpfe wurde das Plutonium und das hochangereicherte Uran in diesen Sprengköpfen freigesetzt, wodurch neue Sicherheitsrisiken entstanden. Zurzeit finden Abrüstungsgespräche zwischen den USA und Russland statt (START III), die zu einer weiteren nuklearen Abrüstung führen sollen.
Die USA und Russland haben vertraglich vereinbart, je 34 Tonnen Waffenplutonium so umzuwandeln und zu sichern, dass dieses Waffenplutonium nicht mehr für Nuklearwaffen eingesetzt werden kann und Proliferationsrisiken (insbesondere in Russland) minimiert werden. Für eine sichere Lagerung von Waffenplutonium in Russland gibt es auf Grund der bisherigen Erfahrungen derzeit keine ausreichenden Garantien.
Für die Umwandlung beziehungsweise Sicherung des Waffenplutoniums stehen zwei Verfahren zu Verfügung:
- Die Umwandlung des Plutoniums in sogenannte Mischoxyde (MOX), die als Brennstoff für den Betrieb ziviler Kernkraftwerke genutzt werden können.
- Die Verglasung und anschließende Endlagerung des Plutoniums.
Die USA haben sich entschieden, 25,5 Tonnen des Plutoniums zu vermoxen und 8,5 Tonnen zu verglasen, Russland will 33 Tonnen vermoxen und 1 Tonne verglasen. (...)
Russland hat sich bereits vor vielen Jahren darauf festgelegt, das abgerüstete Waffenplutonium noch zivil zu nutzen. Vor diesem Hintergrund ist die Frage der Haltung gegenüber einem möglichen Export von Teilen der Hanauer-Brennelementefabrik zur Herstellung von MOX-Brennstäben zu beurteilen. Aus abrüstungs- und rüstungskontrollpolitischer Sicht kommt es darauf an, dass abgerüstetes russisches Waffenplutonium möglichst rasch bearbeitet und umgewandelt wird, sodass das bestehende Proliferationsrisiko minimiert wird.
Durch den Export der Hanauer MOX-Anlage könnte der Umwandlungsprozess erheblich beschleunigt und die Kosten könnten gesenkt werden. Andernfalls müßte eine neue MOX-Produktionsanlage in Russland gebaut werden.
Die MOX-Brennelemente dürfen nach dem Wortlaut des unterzeichneten amerikanisch-russischen Abkommens nur in Russland verbrannt werden. Ein Export der Brennelemente in andere Länder bedarf der amerikanischen Zustimmung."
(Quelle: http://www.gernot-erler.de/cms/front_content.php?idcat=44&idart=444)

Aus dem letzten Satz geht hervor, daß bereits im Jahr 2000 an den Einsatz von MOX-Brennelementen in deutschen AKW gedacht wurde. Und um der in der Darstellung Erlers enthaltenen Propaganda und Geschichtsklitterung keinen Vorschub zu leisten, muß hier klargestellt werden: Es ging in den Jahren nach 2000 keineswegs um atomare Abrüstung - tatsächlich wurde munter weiter aufgerüstet. Anlaß für die begrenzte Hilfestellung bei der Entsorgung russischer Altbestände war die Sorge, die meist völlig ungesichert gelagerten Uran- und Plutonium-Bestände könnten Terrorgruppen oder unberechenbaren Diktatoren in die Hände fallen ("Proliferationsrisiko").

Offenbar wurde in den vergangenen 10 bis 15 Jahren vermehrt das hochgefährliche Uran-Plutonium-Gemisch MOX produziert. MOX-Brennstäbe zählen nach Ansicht von UmweltschützerInnen zu den gefährlichsten der Welt. So enthielt beispielsweise Reaktor III des AKW Fukushima Daiichi MOX-Brennstäbe und trug damit zur weiträumigen Kontamination durch Plutoniumstaub bei. Wie viele Krebstote dies - möglicherweise nicht nur in Japan, sondern weltweit - zur Folge haben wird, läßt sich heute noch nicht abschätzen, da der verantwortliche Konzern TEPCO die Herausgabe der einschlägigen Daten verweigert.

Das Zitat von Gernot Erler widerlegt auch die in den Mainstream-Medien verbreitete Darstellung, die damalige "rot-grüne" Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joseph Fischer habe nicht Bescheid gewußt. Zugleich wird wieder einmal die Legende verbreitet, "Rot-Grün" habe damals einen Atom-Ausstieg beschlossen und die Atom-Industrie habe versucht, die Regierung auszutricksen. Es ist daran zu erinnern, daß der Kritiker und Protagonist der deutschen Anti-AKW-Bewegung Holger Strohm schon vor zwölf Jahen die damalige Ankündigung eines Atom-Ausstiegs als "arglistiger Täuschung" bezeichnete.

Bereits im Oktober 2000 hatte die "rot-grüne" Bundesregierung die Genehmigung zum Verkauf der Hanauer Plutoniumfabrik von Siemens an Rußland erteilt (später platzt das Geschäft). Nach den Vorstellungen von Siemens und dem russischen Atomministerium sollte in der Anlage russisches Waffenplutonium zusammen mit Uran zu sogenannten MOX-Brennelementen verarbeitet und dann jahrzehntelang in Atomkraftwerken "verheizt" werden. Obwohl bei einer direkten Immobilisierung und Endlagerung des Waffenplutoniums das Proliferationsrisiko bei weitem geringer wäre und zudem ein jahrzehntelanger Weiterbetrieb gefährlicher Atomkraftwerke eindeutig gegen die MOX-Option spricht, setzte sich Siemens mit seinen seit Jahren gehegten Interessen bei der Bundesregierung durch. "Ein Teil der MOX-Brennelemente soll auch in deutschen Atomkraftwerken zum Einsatz kommen", berichteten wir im Dezember 2003.
(Siehe: Hanau-Export - nicht Neues)

Zumindest im Juli 2000 wußten auch Propagandisten der Atomenergie Bescheid. Diese schrieben darüber öffentlich ganz unverhohlen: "Es gibt fertige Entwicklungen bei denen mehr (wiederaufgearbeitetes) Plutonium verbraucht als erzeugt wird. Die sogenannten MOX-Brennelemente werden in verschiedensten KKW bereits eingesetzt."
(Siehe: Diskussion mit einem AKW-Befürworter)

Daß vermeintlich linke oder als "Friedenstauben" dargestellte Politiker oftmals eine schlimmere Wirkung entfalten als offen reaktionäre, zeigt nicht nur das deutsche Beispiel, sondern besonders drastisch die US-amerikanische Geschichte der Auf- und zeitweiligen Abrüstung der vergangenen drei Jahrzehnte. So hat der derzeitige US-Präsident Barack Obama, obwohl er sich im Wahlkampf und auch zwischenzeitlich immer wieder für eine Reduzierung des Atomwaffen-Arsenals aussprach, im Mai 2010 weitere 80 Milliarden US-Dollar für Atomwaffen genehmigt.
(Siehe unseren Bericht vom 15.05.10)

Für eine ähnlich doppelbödige Politik stand der als Linker und Abrüstungsbefürworter geltende US-Präsident James Earl "Jimmy" Carter (1977 bis 1981) von der 'democratic party'. Mit Hilfe des sogenannten NATO-Nachrüstungs-Beschlusses sorgte er für einen kräftigen Schub im Rüstungswettlauf mit der Sowjetunion. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei der "sozialdemokratische" deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt, der Anfang der 1980er-Jahre trotz Massendemonstrationen der deutschen Friedensbewegung die Stationierung der Atomwaffen in Deutschland zuließ und so dazu beitrug, die Welt so nahe an den Rand der nuklearen Vernichtung zu führen wie es zuvor vielleicht nur während der Kuba-Krise der Fall war.

Erst 1987 kam es zu einer zeitlich befristeten Phase gemeinsamer atomarer Abrüstung der beiden Weltmächte USA und UdSSR. In dieser kurzen Phase in den Jahren zwischen 1987 und 1996 wurde die beiderseitige Abrüstung von Atomwaffen vor allem durch den damaligen General Lee Butler vorangetrieben - in jenen Jahren oberster Atomwaffenberater des US-Präsidenten. Merkwürdiger Weise fiel dies in die Ära der als erzreaktionär und Kriegstreiber geltenden US-Präsidenten Ronald Reagan (1981 bis 1989) und George Bush (1989 bis 1993) - beide von der 'republican party'.

1993 wurde der - auch heute noch in der Linken beliebte - William Jefferson "Bill" Clinton zum US-Präsidenten gewählt. Wenige Jahre später mußte der 1994 pensionierte General Lee Butler konstatieren, daß eine für ihn "kaum vorstellbare Situation" eingetreten war: Die Atomwaffenpolitik der Vereinigten Staaten unterschied sich kaum mehr von der von 1984 unter Ronald Reagan.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Ein Toter bei Protesten gegen AKW-Neubau
      im indischen Kudankulam (11.09.12)

      Erneuter "Störfall" im AKW Fessenheim
      Gab es Verletzte? (5.09.12)

      Greenpeace fordert Stilllegung des AKW Cattenom
      Kritik an Stress-Tests (23.08.12)

      Im Salz unter Gorleben
      wird illegal weitergebaut (20.08.12)

      8000 Risse im AKW Doel
      Stilllegung dennoch ungewiß (17.08.12)

      Riß im Reaktordruckbehälter
      des belgischen AKW Doel (9.08.12)

      General Electric: Atomenergie zu teuer
      Das Ende des Atomenergie-Zeitalters (30.07.12)

      Erneut 200.000 beim Anti-Atom-Protest
      Diskussion um Strategie in Japan (29.07.12)

      BI Lüchow Dannenberg warnt
      vor neuem Endlagersuchgesetz (29.07.12)

      Transparente Schweizer Endlager-Suche?
      Illusion um Benken geplatzt (2.07.12)

      200.000 in Tokio gegen Atomenergie
      AKW Oi wird hochgefahren (30.06.12)

      Schweizer Uralt-AKW Beznau
      Riß im Reaktordeckel? (19.06.12)

      Gorleben: Atomarer Irrweg wird fortgesetzt
      Weitere CASTOR-Transporte angekündigt (7.06.12)

      Greenpeace-Aktivist landet auf
      spanischem AKW Garoña (6.06.12)

      "Versuchs-Endlager" Asse II
      Rückholung des Atommülls weiter verzögert
      BfS bereitet stattdessen Flutung vor (31.05.12)

      Tschernobyl wirkt
      Radioaktivität in Wildschweinen und Pilzen (8.05.12)

      Atomkraftwerke in Japan
      Alle Reaktoren abgeschaltet (5.05.12)

      Greenpeace-Aktivist landet
      auf Atomkraftwerk (2.05.12)

      Feuer im AKW Fessenheim
      Stilllegungung weiterhin ungewiß (25.04.12)

      Aus für AKW-Pläne in Großbritannien
      E.on und RWE machen Rückzieher (29.03.12)

      Schweizer AKW Beznau
      Reaktor II wegen Kühlproblem abgeschaltet (24.03.12)

      65.000 für Atom-Ausstieg
      bei Internationaler Menschenkette im Rhônetal (11.03.12)

      Schweizer AKW Beznau
      Reaktor II wegen Kühlproblem abgeschaltet (24.03.12)

      AKW Philippsburg
      Heruntergespielte "Pannen" (15.03.12)

      AKW Neckarwestheim
      Noch ein rostiges Atommüll-Faß (15.03.12)

      Atomkraftwerke
      Kernschmelz-Risiko unterschätzt (1.03.12)

      Schweizer AKW Beznau
      jetzt ältestes Atomkraftwerk der Welt (29.02.12)

      BUND fordert Transparenz bei Endlagersuche
      Transparenz bei einer Farce? (22.02.12)

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      Bau zweier Atom-Reaktoren angekündigt (9.02.12)

      Schaden im AKW Cattenom
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      Endlagersuche in der Schweiz
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      Illegaler Bau im Gorlebener Salzstock (2.01.12)

 

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