17.08.2007

Fed senkt Diskontsatz

"Abwärtsrisiken fürs Wirtschaftswachstum deutlich erhöht"

Noch vor wenigen Tagen hatte die US-amerikanische Notenbank getönt, sie werde allenfalls dann Zinsen senken, wenn eine "ernsthafte Gefahr" für das Wirtschaftswachstum bestehe. Nun sah sich die Fed heute (Freitag) gezwungen, den Diskontsatz um 0,5 Prozent auf 5,75 Prozent zu senken. Und in ihrer Begründung für diesen ungewöhnlichen Schritt kam sie nicht mehr umhin, einzugestehen, daß sich die "Abwärtsrisiken für das Wirtschaftswachstum deutlich erhöht" hätten.

In einer zweiten, zeitgleich veröffentlichten Erklärung räumte der Offenmarktausschuss (FOMC) der Fed ein, daß sich die Krise an den Finanzmärkten zugespitzt hat. Die Erklärung des FOMC wurde nicht von allen stimmberechtigten Mitgliedern unterzeichnet. William Poole, Präsident der St. Louis Fed, der als geldpolitischer Hardliner gilt, war offenbar gegen die Zinssenkung. Erst kürzlich hatte er sich deutlich gegen eine Lockerung der Geldpolitik ausgesprochen. Mit der Senkung des Diskontsatzes gab die Fed nun allerdings ihre bisher eingehaltene Linie der "geldpolitischen Straffung" auf. Bereits vor zehn Tagen war klar, daß die Fed nicht gleichzeitig die Geldentwertung vermeiden und die Bankenkrise bekämpfen kann. Letztlich wird die Krise so einmal wieder auf dem Rücken der kleinen Leute ausgetragen.

Die Nachricht von der Maßnahme der Fed löste an den internationalen Börsen eine deutliche Entspannung aus. Der deutsche Leitindex DAX schnellte von einem knappen Minus auf bis zu 3 Prozent ins Plus. In Paris notierte der Leitindex CAC-40 um knapp drei Prozent höher, in London der Footsie-100-Index sogar um fast vier Prozent. Dennoch konnte der Abwärtstrend an den asiatischen Börsen nicht gestoppt werden. An den Börsen wächst die Sorge, daß die Konjunktur in Asien wie die der USA von den Folgen der Krise erfaßt werden könnte. In Tokio verlor der Nikkei 5,42 Prozent und schloß bei 15.273 Punkten. Das war der niedrigste Schlußstand seit 7. August 2006 und der größte Tagesverlust seit dem 11.09.2001. Der Aktienkurs von Toyota gab um 7,2 Prozent nach. Der Leitindex der Börse von Südkorea verlor mehr als drei Prozent. In den Aktienmärkten von Taiwan und Singapur lagen die Indexverluste bei ein Prozent. An der Hongkonger Böres herrschte zeitweilig Panik, mußte zum Tagesschluß aber nur einen Verlust beim Leitindex von 1,4 Prozent verbuchen. Der Wochenverlust von 6,5 Prozent war dennoch der größte seit September 2001.

Die Kredit-Krise hat inzwischen auch auf die Devisen-Märkte übergegriffen. Weil der US-Dollar stark unter Druck steht und die Märkte weltweit einbrechen, benötigen viele Hedge-Funds auf die Schnelle viel Liquidität. Sie lösen so genannte Carry-Trade-Positionen auf. Sie hatten beispielsweise in Japan zu minimalen Zinsen Kredite auf Yen aufgenommen, wechselten die Yen in US-Dollar oder Euro und investierten sie spekulativ. Angesichts der unruhigen Märkte steigen sie nun aus und müssen Yen kaufen, um die Kredite zurückzuzahlen. Das treibt den Yen in Höhe - innerhalb von zwei Monaten gewann der Yen über 11 Prozent zum US-Dollar. Auch in Japan trifft dies - zumindest vorläufig - nur die Kleinen. Große japanische Exporteure haben schon seit langem gegen Wechselkursausschläge abgesichert. Zudem nimmt der Anteil der USA am Japans Export stetig ab.

Seit dem 27. Juli, als die US-amerikanische Immobilien-Blase platzte, ist fast täglich eine weitere US-Bank oder ein Investor in den Abwärtssog geraten. Heute nun mußte die größte private Hypotheken-Bank der USA, First Magnus Financial, ihre Geschäfte einstellen. Sie ist ganz offensichtlich vom Konkurs bedroht. Auch Fannie Mae ist in Schwierigkeiten. Fannie Mae finanziert oder bürgt für jeden fünften Immobilienkredit in den USA. First Magnus Financial in Phoenix mußte ihrer Kundschaft mitteilen, daß ab sofort keine neuen Kredite mehr vergeben würden. Sie wurde in den Sog der Kredit-Krise gerissen, obwohl sich die Bank aus dem Subprime-Geschäft herausgehalten hatte. First Magnus Financial hat im vergangenen Jahr mehr als 30 Milliarden US-Dollar an Krediten vergeben. Die Bank beschäftigt mehr als 5.500 Mitarbeiter in mehr als 300 Niederlassungen in allen 50 US-Staaten. Für die meisten Angestellten sei gestern vermutlich der letzte Arbeitstag gewesen, sagte Marketing-Chef Gary Baraff. Mit dem Einbruch am Subprime-Markt hatte die Krise am 27. Juli begonnen. Bereits am 3. August hatte American Home Mortgage die Kreditvergabe eingestellt und drei Tage darauf den Konkursantrag gestellt. (Siehe unseren Artikel vom 1. August)

Am bedeutendsten war sicherlich die Schieflage der US-Hypothekenbank Countrywide Financial, des größten US-Anbieters von Baufinanzierungen. Das Kredithaus war in den letzten Tagen von einer Krise in die andere geschlittert und sogar von Kunden belagert worden, die den sofortigen Rückzug ihrer Einlagen forderten. Da wurden Erinnerungen an den Beginn der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren wach. Und dies dürfte die Fed mehr als alles andere beunruhigt haben, zumal Countrywide Financial bislang als seriöses Unternehmen galt. Mit der Senkung des Diskontsatzes leistete die Fed insbesondere hier eine teure Nothilfe.

Zum einen sind die Aktienkurse von wilden Kursschwankungen gebeutelt (sogenannte "Volatilität", häufig hieß es auf den Wirtschaftsseiten der großen Tageszeitungen in den letzten Tagen: "Die Kurse hatten einen sehr volatilen Verlauf"), zum anderen wird es für Unternehmen immer schwieriger und teurer, sich die nötigen Krediten zu besorgen. Damit hat die Kredit-Krise bereits auf die Gesamtwirtschaft übergegriffen und das Risiko einer weltweiten Rezession steigt.

Mit der Senkung des Diskontsatzes können Geschäftsbanken günstiger Kredite bei der Fed aufnehmen. Offenbar hatten die bis gestern täglich in den Geldmarkt gepumpten Milliarden an US-Dollar nicht den gewünschten Effekt, die Banken zu einer Lockerung ihrer plötzlich äußerst restriktiven Kreditpolitik zu veranlassen. Entweder horten die Banken das Geld, um für einen erwarteten Ansturm gewappnet zu sein oder sie finanzieren damit verdeckte Stützungskäufe, um ein Fallen der Kurse ins Bodenlose zu bremsen. Es war das erste Mal seit der letzten Börsenkrise 2001, daß die US-Notenbank einen der wichtigen Zinssätze außerplanmäßig senkte.

Der Fed geht es anscheinend nicht um eine Bereinigung der Krise, sonst würde sie als Sicherheiten nicht wie angekündigt, ein "breites Spektrum" akzeptieren, wobei Hypotheken und Wertpapiere explizit inbegriffen sind. Ein New Yorker Broker kommentierte: "Solange es nicht richtig bläst, wird die Spreu nicht vom Weizen getrennt." Doch hinter der Verschleppungstaktik der Fed steht die Angst, daß wegen der Verbriefung der faulen Kredite und der so für niemanden mehr zu lokalisierenden Risiken allzu viele US-Banken in Konkurs gehen könnten. Mit ihrer jetzigen Taktik verfolgt die Fed eine Politik, bei der sie praktisch die Akteure auskauft, die den Anlaß für den Ausbruch der Krise lieferten und dabei Milliarden scheffelten.

Wird die Krise jedoch weiter verschleppt, wächst das Risiko eines nicht mehr eingrenzbaren Banken-Kollapses und damit die Chance auf eine Weltwirtschaftskrise. Angesichts der hereinbrechenden Klimakatastrophe ist die Weltwirtschaftskrise vielleicht eine der letzten Chancen, den Planeten vor dem größten Artensterben seit Beginn der Evolution zu bewahren.

In den letzten beiden Wochen richteten sich viele Volkswirtschaftler offenbar nach dem Leitspruch "Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" und gaben in den Mainstream-Medien gerne gehörte Entwarnungen zum besten. Die Turbulenzen an den Börsen hätten keinen spürbaren Einfluß auf den Verlauf der Wirtschaft außerhalb des Börsenparketts. Gerne wurde dabei auch der von dubiosen GeldtheoretikerInnen geprägte Ausdruck "Realwirtschaft" bemüht. Doch der bisherige Konsens der Ökonomen bröckelt.

Daß mit der heutigen Maßnahme der Fed eine Ende der Kredit-Krise herbeigeführt werden könnte, halten inzwischen selbst Berufsoptimisten für ausgeschlossen. So meinte etwa der Dresdner Bank-Chefökonom Michael Heise: "Der Rückzug der Investoren aus Risikomärkten und die Bereinigung der Portfolien von Hedgefonds und Investmentbanken werden gleichwohl weitergehen und es ist nicht sicher, daß die Märkte ihre Talsohle bereits erreicht haben." Auch erfahrene US-Banker äußerten sich skeptisch. Don Coxe etwa, ein Veteran der Finanzbranche in Chicago, erklärte, die Fed habe nur eine kurzfristige Kreditklemme beseitigt. Das Kernproblem bleibe, daß nämlich die Banken auf mehreren 100 Milliarden Kreditpaketen und Derivaten säßen, deren Marktwert niemand kenne. Allein das Volumen der weitergereichten (verbrieften) Subprime-Kredite wird von ExpertInnen auf 50 bis 250 Milliarden US-Dollar geschätzt. Solange dieses Blase nicht geplatzt sei, werde sich auch der Markt nicht beruhen. Peter Morici, Wirtschaftsprofessor an der Universität Maryland äußerte sich drastisch: "Wir stecken tiefer in den Problemen, als die Ökonomen bisher zugaben." Und der Vize-Chef der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Philipp Hildebrand, erklärte: "Wir haben es mit einer Situation zu tun, die nicht unterschätzt werden darf."

Böse Überraschungen können sich für so manche Großbanken ergeben, die sich heute noch auf der sicheren Seite wähnen. Ihre Kreditrisiken haben sie zwar durch Verbriefung und Verkauf auf andere Investoren weitergereicht. Dankbare Abnehmer waren insbesondere Investmentbanken, die damit milliardenschwere Kreditpools bildeten, diese in verschiedene Tranchen mit unterschiedlichem Risikograd unterteilten und sie dann in Form von hypothekenbesicherten Wertpapieren an weitere Investoren wie Banken, Versicherer, Pensionsfonds und Hedge Funds verkauften. Damit nicht genug: Viele der Investoren mischten diese Wertpapiere mit anderen Kreditformen, die sie zuvor von Banken erworben hatten, und bildeten daraus neue Pools, die sie wiederum tranchierten und scheibchenweise als besicherte Schuldverschreibungen, sogenannte Collateralised Debt Obligations (CDO) an neue Investoren rund um den Globus veräußerten. Heute vermögen selbst Marktprofis das fein gewobene, weltumspannende Netz von raffiniert verpackten Schuldverschreibungen nicht mehr zu durchschauen.

Was aber, wenn nun beispielsweise ein Hedge Fund wegen massiver Verluste mit solchen Schuldverschreibungen ins Wanken gerät ­ und eine jener Großbanken gewichtigste Kreditgeberin jenes Hedge Funds ist? Die Folge wäre weit gravierender und anhaltender als ein Börsen-Crash historischen Ausmaßes - ein Kollaps im gesamten Handel mit festverzinslichen Wertpapieren. Manche, die bislang den Absturz in die Weltwirtschaftskrise für absolut unwahrscheinlich erachteten, werden inzwischen nachdenklich.

Interessant dürfte in nächster Zeit sein, ob und in welchem Maße der US-Dollar an Wert verliert. Denn angesichts einer Netto-Auslandsverschuldung von mittlerweise über 7 Billionen US-Dollar, die täglich um weitere 2 Milliarden anschwillt, und dem chronischen Zahlungsbilanzdefizit, ist eine Abwertung des US-Dollar eher plausibel als eine Aufwertung. Doch dies hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Weltmachtstellung der USA auch in der Krise unangefochten bleibt und wie sich die schwindende globale Erdölfördermenge auf die Potenz der USA auswirkt.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Börsen in Panik
      Wartet der Crash noch bis September? (16.08.07)

      Bankenkrise kappt Konjunktur
      Stimmungsbarometer der Manager verdüstert sich (15.08.07)

      EZB pumpte auch heute Milliarden
      EZB-Chef Trichet: Bankenkrise beendet
      Deutsche-Bank-Chefvolkswirt: Es kommt noch dicker (14.08.07)

      Finanzkrise zieht Kreise
      EZB pumpt weitere 48 Milliarden in den Geldmarkt
      Deutsche Bank und Commerzbank hängen mit drin (13.08.07)

      Viel Geld - viel Vertrauen?
      Viel Geld ins schwarze Loch gepumpt (11.08.07)

      Mit beschleunigtem Tempo Richtung Weltwirtschaftskrise
      EZB mußte heute 95 Milliarden Euro in den Geldmarkt pumpen
      (9.08.07)

      1929 oder 1931?
      Deutsche Bankmanager mit Fracksausen (3.08.07)

      US-Immobilienkrise erfaßt deutsche Bankenbranche
      Weltweite Schockwellen (1.08.07)

      Crash an US-Börse
      Beginn der Weltwirtschaftskrise? (27.07.07)

 

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