26.05.2009

Internet
Kinderpornographie
Vorwand für politische Zensur

Regierung spricht von Gremium zur Kontrolle des BKA

Nach wie vor will die "schwarz-rote" Bundesregierung ihr Vorhaben, Internet-Sperren einzuführen - angeblich um gegen Kinderpornographie vorzugehen - nicht aufgeben. Von KritikerInnen sind zum einen Argumente vorgebracht worden, die belegen, daß Internet-Sperren keinen Einfluß auf die Verbreitung von Kinderpornographie haben können, zum anderen sind Befürchtungen laut geworden, daß der Vorstoß von Bundes-"Familien"-Ministerin Ursula von der Leyen lediglich als Vorwand diene, eine politische Zensur des Internet zu etablieren.1 Denn - so die KritikerInnen: Eine demokratische Kontrolle der schwarzen Liste, die vom Bundeskriminalamt (BKA) erstellt werden und täglich aktualisiert werden soll, sei nicht vorgesehen. In den vergangegen Wochen waren bereits Stimmen aus den Reihen der Parteien zu vernehmen, die sich für eine Ausweitung der Internet-Sperren auf andere Bereiche aussprachen.

Doch offenbar hat mittlerweile zumindest das Argument der GegnerInnen, daß mit einer Generalvollmacht für das Bundeskriminalamt (BKA), schwarze Listen ohne jegliche demokratische Kontrolle zu erstellen, eine Infrastruktur zur politischen Zensur des Intenet aufgebaut würde, für ein Zurückweichen von den ursprünglichen Plänen gesorgt. Die Bundesregierung spricht nun von einem "unabhängigen Gremium", das nachträglich in das Gesetzesvorhaben eingebaut werden soll. Dieses Gremium könne sicherstellen, daß - entgegen den Befürchtungen - vom BKA ausschließlich Seiten mit Kinderpornographie auf die schwarze Liste gesetzt werden.

Bei KritikerInnen stößt die Nachbesserung des Gesetzesvorhabens mit einem "unabhängigen Gremium" auf Skepsis. Es stelle sich die Frage, ob ein solches Gremium mehr zu leisten imstande sei, als etwa bestehende Gremien, die zur Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Medien eingesetzt sind oder zur Kontrolle diverser Banken wie etwa der IKB.

Bundes-"Familien"-Ministerin Ursula von der Leyen reagierte nun in einem Interview mit 'spiegel-online' erstmals auf die Kritik an ihrem Gesetzesvorhaben. Sie stellte die Gründung eines "unabhängigen Gremiums" in Aussicht, das die Zusammenstellung der Sperrliste überwachen soll. "Experten" sollten vor Ort beim BKA Einsicht in die schwarze Liste nehmen, um festzustellen, "ob ausschließlich Kinderpornographie nach Paragraf 184b StGB (Strafgesetzbuch) geblockt wird". Das sei eine "vertrauensbildende Maßnahme". Auf die Kritik, daß das gesamte Vorhaben keinerlei Auswirkungen auf die Verbreitung von Kinderpornographie haben könne, ging von der Leyen allerdings mit keinem Wort ein, noch wurden ihr von 'spiegel-online' entsprechende Fragen gestellt.

Mit dem Interview in 'spiegel-online' wurde zudem eine weitere peinlich Schwachstelle in dem umstrittenen Gesetzesvorhaben publik: So war bislang lediglich vorgesehen, daß das BKA die schwarze Liste an Wochentagen aktualisiert. "Da gibt es Nachbesserungsbedarf", räumte von der Leyen im Gespräch mit 'spiegel-online' ein. Sie zieht dem Bericht zufolge nun in Betracht, die Aktualisierungen auch auf das Wochenende auszuweiten.

Anfang Mai hatten innerhalb weniger Tage über 50.000 Menschen eine auf der Internet-Seite des Deutschen Bundestages eingebrachte ePetition unterzeichnet, um gegen das umstrittene Gesetzesvorhaben den Petitionsausschuß des Bundestages einzuschalten. Im Begründungs-Text der Petition wird darauf hingewiesen: "Dass die im Vorhaben vorgesehenen Maßnahmen dafür denkbar ungeeignet sind, wurde an vielen Stellen offengelegt und von Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen mehrfach bestätigt." Weiter heißt es in der Petition: "Wir halten das geplante Vorgehen, Internetseiten vom BKA indizieren & von den Providern sperren zu lassen, für undurchsichtig & unkontrollierbar, da die "Sperrlisten" weder einsehbar sind noch genau festgelegt ist, nach welchen Kriterien Webseiten auf die Liste gesetzt werden. Wir sehen darin eine Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit."

Franziska Heine, die Initiatorin der Bundestags-Petition, forderte einen internationale Meldestelle zu schaffen. Jeder Internet-Nutzer solle illegale Webseiten an die Organisation melden können, die diese Informationen dann an die zuständigen Behörden des betreffenden Landes weiterleitet. In den vergangenen Wochen wurde mehrfach berichtet, daß nach privaten Hinweisen auf Kinderpornographie entsprechende Seiten vom Netz genommen werden konnten. Sperren hingegen können umgangen werden, denn bei einer Sperrung des Zugangs bleibt die Existenz der Seite unberührt. KritikerInnen stellen daher die Frage, warum diese - personalintensive - Bekämpfung von Kinderpornographie von Regierung und Polizei offenbar vernachlässigt wird.

Der Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) warnte mittlerweile, Sperren und Blockierungen von Internet-Seiten dürften "nur flankierende Maßnahmen" sein. Viel wichtiger sei es, kinderpornographische Inhalte von Servern in Deutschland und der EU zu entfernen, sagte Oliver Süme, der stellvertretender eco-Vorstandsvorsitzende, am Mittwoch in Berlin. Das geplante Gesetz könnte dazu verleiten, daß entsprechende illegale Seiten nur blockiert und nicht vollständig gelöscht werden.

Der Arbeitskreis gegen Zensur, zu dem unter anderem auch der Chaos Computer Club (CCC) gehört, will indes mit weiteren praktischen Beispielen das Argument entkräften, daß das Löschen von kinderpornographischen Seiten und Inhalten aufwendig sei. Auf eine Initiative des Arbeitskreises hin seien innerhalb von nur zwölf Stunden europaweit 60 Internet-Angebote von den informierten Providern gelöscht worden. Drei der jetzt vom Netz genommenen Webauftritte befanden sich auf Servern in Deutschland. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit des BKA mit seinen Kontakten zur europäischen Polizeibehörde (Europol) und zu Interpol.

Bei einer Anhörung im Bundestag blamierte sich der Vertreter des BKA Jürgen Maurer gründlich. Zum einen behauptete er, Kinderpornographie ließe sich auf entsprechenden Seiten schwer finden. Das BKA habe sich bei der Überprüfung aktueller schwarzer Listen aus Skandinavien von der örtlichen Polizei helfen lassen müssen. Zum anderen erzählte er bei eben diesem Termin, typischerweise fänden sich auf Kinderporno-Seiten keine sonstigen Inhalte, vielmehr würden die Domains nur für kinderpornographische Zwecke eingerichtet.

Weiter erzählte der deutsche BKA-Vertreter Jürgen Maurer anläßlich der Bundestags-Anhörung, in Staaten mit Internet-Sperren wie wie Dänemark, Schweden und Finnland würde auch nach einigen Jahren Erfahrung das Sperr-Konzept dort nicht in Frage gestellt. Dagegen ist die Äußerung des Chefs der Polizeiermittlungsgruppe gegen Kinderpornographie und Kindesmißhandlung in Stockholm, Björn Sellström, längst publik: "Unsere Sperrmaßnahmen tragen leider nicht dazu bei, die Produktion von Web-Pornographie zu vermindern"

Der Frage, warum Polizei und Behörden nicht den effizienten Weg der Löschung entsprechend bestehender Gesetze beschreiten, um Kinderpornographie im Internet zu bekämpfen, weicht Frau von der Leyen bisher konsequent aus. Es stellt sich daher die Frage, ob sie einfach nur inkompetent ist oder ob sie das Leid der Kinder zu ganz anderen Zwecken instrumentalisiert.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch unsere Artikel:

      Gegen politische Zensur des Internets
      Online-Petition gegen Internetsperre
      am ersten Tag mehr als 16.000 UnterzeichnerInnen (5.05.09)

      Mit Stop-Schild gegen Kinderpornos?
      Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur gegründet (17.04.09)

      Aufstehn für ein freies Internet
      CCC will "Zensursula" besuchen (16.04.09)

      Easterhegg des CCC in Hamburg
      Ein Treffen nicht nur für Computerfreaks (13.04.09)

      wikileaks.de gesperrt
      Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)

      Greenpeace in Frankreich bespitzelt
      Kam der Auftrag von EdF? (1.04.09)

      Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
      Aktionismus gegen Kinderpornographie
      als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)

      Ohne V-Leute würde NPD zusammenbrechen
      Baden-Württembergs Innenminister Rech plaudert (8.03.09)

      Bundesverfassungsgericht stoppt Wahl-Computer
      Die Manipulierbarkeit von elektronischen Speichersystemen,
      'Wikipedia' und Internet-Umfragen (3.03.09)

      Aktionismus gegen Kinderpornographie
      zielt auf Zensur des Internets
      Im Visier ist das letzte Kommunikationsfeld
      für freie linke Nachrichten (1.02.09)

      Schweizer Atomwaffen-Skandal
      Zehn Millionen Dollar von der CIA
      Regierungs-Akten beseitigt (26.08.08)

      Neues "Verbraucherinformationsgesetz"
      ist eine Farce (29.07.08)

      "Ausforschungs-Paragraphen"
      Bundestags-Abgeordnete Ulla Jelpke fordert Streichung (24.07.08)

      ELENA - Eine gigantische Datenbank
      soll Angaben von 40 Millionen Beschäftigten umfassen (26.06.2008)

      ARD-Magazin 'Report':
      Meldedaten im Internet frei zugänglich (23.06.2008)

      Telekom schnüffelte in Eigenregie
      Staatsanwaltschaft ermittelt (24.05.2008)

      Big Brother hört mit
      Zahl der Abhör-Aktionen nimmt weiter zu (20.05.2008)

      Bundesverfassungsgericht präsentiert größte
      Mogelpackung aller Zeiten: Das virtuelle Grundrecht (28.02.2008)

      Bald alle Deutsche in "Superdatei" erfaßt?
      Datenschutzbeauftragter kritisiert Pläne für Bundesmelderegister
      (12.02.08)

      30.000 klagen gegen Vorratsdatenspeicherung
      Sensibilität wächst wie zu Zeiten des Volkszählungsboykotts 1987
      (2.01.08)

      Datenschutz - mehr Löcher als Käse
      BKA speichert IP-Adressen (27.11.07)

      15.000 in Berlin gegen Stasi 2.0 (23.09.07)

      Wie die Bundeswehr ihre Daten schützt
      Daten über "rot-grüne" Kriegseinsätze vernichtet (25.06.07)

      Frankreichs Regierung von US-Geheimdienst abgehört
      "Blackberry" mit Hintertürchen (21.06.07)

      Bundesverfassungsgericht:
      Abhören von El-Masri-Anwalt war verfassungswidrig (16.05.07)

      Staatliches Hacken privater Computer bereits seit 2005
      Im Vergleich zu Schily ist Schäuble ein Waisenknabe (25.04.07)

      Der 'spiegel' enthüllt:
      Totalüberwachung der Konten (21.11.04)

      Mabuse und Mielke im Jenseits blaß vor Neid
      Neues "rot-grünes" Telekommunikationsgesetz (26.01.04)

      "Rot-Grün" im Überwachungswahn (8.05.03)

      Stasi-Mielkes Auferstehung (23.02.01)

 

neuronales Netzwerk