18.09.2007

Fed senkt Leitzins drastisch

Angst vor Wirtschaftskrise war größer als die vor Inflation

Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) gab heute bekannt, den Leitzins (Fed Funds Rate) drastisch von 5,25 auf 4,75 Prozent zu senken. Neben dem Leitzins nahm die Fed auch den Diskontsatz, zu dem sich Banken direkt und unbegrenzt bei ihr Geld leihen können, um 0,5 Prozent auf 5,25 Prozent zurück. Zweck dieses Manövers ist, die US-Wirtschaft wieder flott zu machen. Dabei wird ein hohes Inflations-Risiko eingegangen. Offenbar stuft die Fed das Risiko einer konjunkturellen Bruchlandung höher ein als das einer außer Kontrolle geratenen Inflation. Der ehemalige US-Notenbankchef Alan Greenspan hatte dieser Tage vor einer solchen Senkung der Zinsen gewarnt.1

Mit der Senkung der Leitzinsen versucht die Fed, die US-Wirtschaft vor einer Wirtschaftskrise zu bewahren. Denn die Banken-Krise, ausgelöst durch das Platzen der US-amerikanischen Immobilienblase und verursacht durch das seit Jahren immer höher gesteigerte Handelsbilanzdefizit der USA, hat im Zusammenwirken mit der seit sieben Jahren nachlassenden globalen Erdölförderung und dem damit verbundenen Preisanstieg des wichtigsten Energieträgers der Weltwirtschaft, zu einem Nachlassen der US-Konjunktur geführt. Die Einzelhandels-Umsätze sind in den USA im August ebenso gesunken wie die industrielle Produktion. Auch die Beschäftigung ist zurückgegangen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) wird voraussichtlich seine Prognose für das US-Wachstum 2008 von 2,8 auf 2,2 Prozent senken, meldete die italienische Nachrichtenagentur AGI.

Das Manöver der Fed setzt darauf, mit der Senkung der Leitzinsen und einer so erhofften Wiederbelebung des Kreditmarkts könne die Konjunktur angekurbelt werden. Damit verstärkt sie allerdings weiterhin mittelfristig den Trend, daß sich Wirtschaft und VerbraucherInnen zunehmend verschulden.

Kurzfristig wird mit der Zinssenkung dasselbe Ziel verfolgt, das mit den Milliarden-Interventionen der vergangenen Wochen nicht erreicht werden konnte: Auf dem Kreditmarkt soll Liquidität geschaffen werden, damit der Interbankenhandel wieder in Gang kommt. Die nächste Banken-Pleite wäre ansonsten absehbar gewesen. In einem Domino-Effekt kann es dann sehr schnell dazu kommen, daß reihenweise Banken Konkurs anmelden müssen. Die Folge wäre unausweichlich eine Weltwirtschaftskrise wie zuletzt in den 1930er Jahren.

Die Börse reagierte erleichtert auf die Zinsentscheidung: Sowohl der Dow Jones, der S&P und die Technologiebörse Nasdaq zeigen einen deutlichen Aufwärtstrend. Mit dem Zinsschritt nimmt die Hoffnung zu, daß die Fed auch weiter mit billiger und reichlicher Liquidität die Risiken der Banken vor einer Zahlungsunfähigkeit auffängt. Der Euro schoß auf ein Rekordhoch bei 1,3981 US-Dollar, was die europäischen Exporte weiter dämpfen wird. Der Ölpreis kletterte nach der Zinsentscheidung erstmals über 82 US-Dollar pro Barrel (159 Liter).

Mit ihrer Zinssenkung vollzieht die Fed eine deutliche zinspolitische Wende. Seit Juni 2003 hatte sie den Leitzins nicht mehr gesenkt und seit August 2006 hatte sie ihn bei 5,25 Prozent belassen, aber die zu hohe Inflation stets als Hauptsorge bezeichnet

Nun gerät auch die Europäische Zentralbank (EZB) unter Druck. Sie vermied bisher entsprechend dem - zumindest verbal - hochgehaltenen Ideal der Stabilität des Euro eine Senkung der Leitzinsen. Doch zur Abwendung der Inflationsgefahr müßte sie konsequenter Weise die Zinsen erhöhen. Ohne eine Senkung der Zinsen jedoch wird sich in den kommenden Wochen ein Banken-Crash nicht vermeiden lassen. Die Folge wäre eine - zunächst - auf Europa beschränkte Wirtschaftskrise.

Die Entscheidung der US-Notenbank zwischen Wirtschaftskrise und Inflation ist vergleichbar mit jener des Odysseus zwischen Scylla und Charybdis - mit dem Unterschied, daß heute möglicherweise keines der beiden Ungeheuer mehr umschifft werden kann. Der US-amerikanische Finanzexperte Jeremy Grantham, der in den USA die größte unabhängige Vermögensverwaltung betreibt, schätzt, daß die schlimmsten Folgen erst noch kommen: "Ich fühle mich, als beobachtete ich ein Zugunglück in extremer Zeitlupe", sagt Grantham.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel:

      Banken-Krise: Northern Rock, deutsche Immobilienbanken
      und europäische Konjunktur (17.09.07)

      Northern Rock in Schieflage
      Banken-Krise erfaßt Großbritannien mit voller Wucht (14.09.07)

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      Banken-Krise tiefgreifender als bislang erkennbar (12.09.07)

      Banken-Krise:
      Der europäischen Industrie brechen Aufträge weg (6.09.07)

      EZB unterläßt Zinserhöhung
      Banken-Krise gefährdet Preis-Stabilität (6.09.07)

      Kakophonie
      Steinbrück: "Banken-Krise ist ernst"
      Haasis: "Wir hatten keine Banken-Krise"
      (4.09.07)

      Der Griff ins fallende Messer
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      US-Präsident G. W. Bush will Kreditkrise überwinden
      Stiglitz hält Rezession für möglich (31.08.07)

      Kredit-Krise trifft halbstaatlichen US-Immobilien-Konzern
      Kabelnetz-Betreiber in Deutschland betroffen (30.08.07)

      Britischer Hedge Fonds wegen Kredit-Krise in Schwierigkeiten
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      in Countrywide Financial (23.08.07)

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      Die Zinssenkung der Fed ist verpufft (20.08.07)

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      Fed senkt Diskontsatz
      "Abwärtsrisiken fürs Wirtschaftswachstum deutlich erhöht"
      (17.08.07)

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      Deutsche-Bank-Chefvolkswirt: Es kommt noch dicker (14.08.07)

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